92 Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes
wahrgenommen, daß beim Voreide die Bedeutung des Eides dem Zeugen nicht recht klar sei, daß sich daraus viele falsche eidliche Aussagen ergeben hätten und der Voreid geradezu eine Quelle des Meineides zu nennen sei; doch giebt die Begründung zu, daß man in andern Bundesstaaten mit dem Voreide günstigere Erfahrungen gemacht habe, und ich kann dem hinzufügen, daß auch im ehemaligen Kurhesseu, wo bis zur Einführung der Strafprozeßordnung vom 26. Juni 1867 der Zeugeneid vor der Vernehmung geschworen wurde, mit dieser Einrichtung keine schlechten Erfahrungen gemacht worden sind. Mit Rücksicht darauf will der Entwurf den verschiednen Bedürfnissen gerecht werden, im allgemeinen den Nacheid einführen, für die Rechtsgebiete jedoch, wo bis znm 1. Oktober 1879 die Vereidigung der Zeugen vor deren Vernehmung üblich war, dies bestehen lassen, bis die Landesgesetzgebung den Nacheid einführen werde. Diese Lösnng der Frage muß aber als eine unglückliche erscheinen; denn erstens würde dadurch ein sehr wesentlicher Teil des Strafprozeßrechtes, welches vcrfassuugs- mäßig der Reichsgesctzgebung zusteht, dieser entzogen und der Landesgesetzgcbnng überwiesen; sodann würde Deutschland gewissermaßen in zwei Nechtsgebicte, eins mit zuverlässigen und eins mit unzuverlässigen Einwohnern geteilt; beides aber muß unbedingt vermieden werden. Prüft man aber die Strafprozeßordnung in ihrer maßgebenden Bestimmung (dem K 60) genauer, so erhellt, daß es, um den angedeuteten Übelständen abzuhelfen, einer neuen Bestimmung garnicht bedarf. Indem der Z 460 gestattet, die Vereidigung aus besoudern Gründen, namentlich wenn Bedenken gegen ihre Znlässigkeit obwalten, bis nach Schluß der Vernehmung auszusetzen, giebt er ja die Möglichkeit, bei jedem Zeugen, wo es zweckmäßig erscheint, den Nncheid zu wählen; auch in den Bezirken, wo sich im allgemeinen der Voreid nicht bewährt haben sollte, giebt es doch gewiß zahlreiche Personen, bei welchen die Vereidigung unbedenklich der Vernehmung vorangehen kann, und für die übrigen ist die Ausnahmebestimmung da. Ein einigermaßen gewandter Richter wird nach einer ganz kurzen Unterredung auch mit einem ihm bisher unbekannten Zeugen wissen, wvrau er ist, und darnach die Frage wegen der vorgehenden oder nachfolgenden Vereidigung beantworten können. Vielleicht könnte der H 60 etwas weiter gefaßt werden, sodaß die uachfolgcude Vereidigung zwar nicht die Regel bilden, aber doch auch nicht auf einzelne Allsnahmefälle beschränkt zu sein brauchte, daß es nicht eines förmlichen Gerichtsbeschlusses zur Rechtfertigung des Nacheides bedürfte, dann wäre nach allen Seiten hin gehvlfeu. Wenn aber die Begründung des Entwurfes meint, beim Nacheide müßten in zeitraubender Weise die Generalfragen zweimal gestellt werden, so übersieht sie, daß schon Schwarze in seinem Kommentar zur Strafprozeßordnung es für genügend erklärt, die vor der Vereidigung gestellten Generalfragen nach der Vereidigung einfach bestätigen zu lassen, daß es aber auch in den meisten Fällen garnicht der Vereidigung auf die Generalien bedarf, indem diese bei feststehender Jndentität der Persönlichkeit des Zeugen sehr oft