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seine Überschüsse zu verzehren, zunehmen wird. Dann werden die Epigonen einer reichen Vergangenheit in Lnst nnd Freude leben, das Land aber wird rasch verarmen. Es ist daher einleuchtend, daß das allgemeine Interesse ebensosehr für das Kapital einen angemessenen Zins verlangt, als für den Arbeiter einen Lohn, mit welchem er ein menschenwürdiges Dasein führen kann.
Es sind zwei ganz verschiedne Dinge, das wirtschaftliche Gedeihen eines Landes nnd sein Überfluß an Kapitalien. Lebhafte wirtschaftliche Thätigkeit kann so gut bei hohem wie bei niedrigem Zins bestehen. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika befanden sich im blühendsten Zustande, als der niedrigste Zins seiner Bonds 6 Prozent war. Gerade dieser hohe Zins machte Europa geneigt, ihm Kapital, so viel es wollte, zu leihen. Jetzt, da die vier- Prozentigen Ilnitsä Zt^tss Lonä« 120 stehen, liegt seine Industrie darnieder, ja es werden Stimmen laut, welche die Rückwanderung wenigstens der Jrländer in ihre Heimat empfehlen. Der industrielle Aufschwung eines Landes wird nicht leicht durch den Mangel an Kapitalien aufgehalten. Denn abgesehen davon, daß das kapitalreichere Ausland immer zur Hilfe bereit ist, schafft sich eine prosperireude Produktion leicht selbst die nötigen Geldmittel. Denn wenn eine rasche Aufnahme der erzeugten Güter dnrch die Konsumenten gesichert ist, so kehren die bei der Produktion vorgelegten Gelder rasch zurück und find also durch den Kredit leicht zu beschaffen.
Als etwa mit dem Jahre 1830 Deutschland wirtschaftlich erwachte, als der Zollverein begründet wurde und die Zwischenzvlle fielen, als man begann, Maschinen iu die Landwirtschaft und Industrie einzuführen, die Flüsse mit Dampfschiffen zu befahren und Eisenbahnen zu bauen, blieb der Zinsfuß gleichwohl niedrig, bis etwa 1845. Das Kapital nahm also in dieser Periode keinen Anteil nn der Besserung der wirtschaftlichen Lage. Erst in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre begann der Zinsfuß zu steigen, und wievorher der Wohlstand bei niedrigem Zinsfuß wuchs, so jetzt bei einer Höhe desselben, welche das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (anfangs der sechziger Jahre) veranlaßte, den nicht vereinbarten Zins auf 6 Prozent zu bestimmen.
England hatte nach den Friedensschlüsfen von 1814 nnd 1815 einen niedrigen Zinsfuß, obwohl seine Staatsschuld ans mehr als 900 Millionen Pfuud Sterling angewachsen war. Es vermochte die unerhörten Übelstände seiner papiernen Valuta zu überwinden und über erschreckende Notstände seiner Arbeiterbevölkerung Herr zu werden und doch schon 1818 eine Anleihe von 63 Millionen Pfund Sterling zu 3^ Prozent zu kontrahiren. Der Aufschwung von Handel und Industrie iu jener Zeit war staunenerregend, artete zwar um 1824 in die wildeste Spekulation aus mit dem unvermeidlichen Krach, übte aber keinen Einfluß auf den Zinsfuß. Dies könnte zu dem Irrtum verleiten, daß eben der außerordentliche Kapitalreichtum Englands, also der niedrige Zinsfuß, Ursache seines Gedeihens in jener Zeit gewesen sei. Allein die Gegenwart belehrt uns,