Lrcmch und Mißbrauch.
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daran Goethen wie lebend näher fühlen, als es durch Papier nnd Druckerschwärze möglich ist. Hätte ich ihn nur erst!
Berka, August ^335. F. V.
Brauch und Mißbrauch.
nsre Zeit hat es zu einer bemerkenswerten Fertigkeit in der Kunst gebracht, schöne Gebrauche in Mißbrauche, nützliche Bestrebungen durch Übertreibung in ihr Gegenteil zu verwandeln. Eine lange Liste von Belegen zu dieser Behauptung beizubringen, würde niemand in Verlegenheit sein, der mit einiger Aufmerksamkeit den Vorgängen des Tages folgt; wir wollen für diesmal nur zwei Fälle herausgreifen, welche ganz besonders den Vorzug der „Aktualität" genießen.
Es ist noch kein halbes Jahrhundert her, daß die Übung und Steigeruug der Körperkräfte in Deutschland wieder als Erfordernis einer vernünftigen Erziehung anerkannt wird. Das Turnen war als hochverräterische Beschäftigung geächtet, Schwimmen und Nudern wurde vernachlässigt, Gelegenheit zum Reiten, einer.Kunst, welche noch im Anfange unsers Jahrhunderts jedermann verstand, hatten fast nur noch der Soldat und der Landwirt, und systematisches Fußwandern fand beinahe nur bei der akademischen Jugend Pflege, seitdem auch der Handwerksbursche auf der Eisenbahn „wanderte." Doch sollte gerade die Eisenbahn einein eignen Zweige der Wandertechnik zu einem früher ungeahntem Aufschwünge verhelfen, dem Bergesteigen. Was sich früher nur der Bewohner oder Anwohner einer Gebirgsgegend gewähren konnte, das ist nun jedem ermöglicht. Die Schienenwege bringen uns in kürzester Zeit aus der Ebne an den Fuß der Alpen, und in hellen Haufen ziehen namentlich die Großstädter, sobald „der Schnee von der Alm weggeht," in Lodenjoppe, Lederhvsen und Bundschuhe», mit Bergstöcken nnd Steigeisen bewaffnet, aus, um in die Gletschcrwelt emporzuklimmen. Und ist das nicht hocherfreulich? Wer möchte dem rüstigen Jünglinge mißgönnen, in der erhabnen Bergnatnr den Dunst und Staub und die Mühsal des städtischen Alltagslebens abzuschütteln, in der reinen Luft die Brust auszuweiten, das arbeitsmüde Ange zu erquicken an dem kräftigen Grün der Matten, die Spannkraft der Muskeln zu üben in mühsamem Aufstieg, für den (wenn das Glück gut ist) ein Blick in ungemessene Fernen ans die im Abendlicht glühenden Schneehüupter entschädigt. Gewiß keiner, der selbst jemals diese Lust gekostet hat.