Rechtspolitische Streifzüge.
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Richterspruch nicht als befangen oder parteiisch hinstellen, sonst thut mau die Arbeit der Anarchisten. Daß dieses in konservativen Blättern geschieht, ist umso bedauerlicher, als sie besonders berufen find, gegen die alles zerfressenden Elemente des modernen Lebens die Autorität und das Ansehen der Staatsorgane zn schützen, und als bei dem wechselnden Laufe der politischen Dinge morgen Ambos sei» kann, wer hente Hammer ist. Wer erinnert sich nicht noch jener Flut von Schmähungen, die in den fortschrittlichen Blättern auf den frühern höchsten preußischen Gerichtshof gehäuft wurden, der in seinem richterlicheu Urteile über die Redefreiheit der Abgeordneten eine andre Meinung aufgestellt hatte, als sie bisher üblich war? Wenn damals mit Recht von konservativer - Seite geltend gemacht wnrde, daß Schmähungen gegen Nichtersprüche den Staat uutergraben, so sollte man diesen wichtigen Satz nach zwanzig Jahren noch nicht vergessen haben und den Ruhm, die Säulen der staatlichen Autorität zu erschüttern, lieber ueidlos den Gegnern überlassen.
Eiu ganz andres ist es, ob man aus einem Urteile nicht Lehren für die Gesetzgebung ziehen soll, und in dieser Beziehung ereignet es sich nicht selten, daß Fehler der Gesetze, welche von den Einsichtigeren schon seit längerer Zeit beobachtet worden sind, durch einen sogenannten eklatanten Fall aufgedeckt und selbst für die Augen der Menge erkennbar werden.
Solche Fehler sind auch nach uusrer Meinung in dem Prozesse Stvcker zntage getreten.
Das Ansehen der richterlichen Urteile als der Grundlagen der Staatsordnung — tunä^mönwin roMoruin — ist uur dann und aus dem Gruude gerechtfertigt, wenn und weil von unbeeinflußten und sachkundigen Männeru nach bestimmten, ein für allemal gegebnen und für alle gleich geltenden Regeln ein Rechtsstreit entschieden wird. Es fragt sich, ob diese Bedingungen noch für die Gegenwart zutreffen.
Seit Montesquieu in falsch verstandner Auffasfnug englischer Verfassungs- zuftäude die Trennung der sogenannten drei Gewalten als das Erfordernis bürgerlicher Freiheit aufstellte, hat man die richterliche Unparteilichkeit lediglich gegen deu Druck von oben zu schützen gesucht. Das Verbot der Kabinetsjustiz, die Uuabsetzbarkeit und die Unzulässigkeit unfreiwilliger Versetzung der Richter sind in den Staatsverfassungen der deutschen Bundesstaateu gewährleistet. Das gleichmäßige Aufrücke» iu den Gehaltsstufen nach der Anciennctät, der Rechtsweg zur Erlangung dieses Gehaltes, die Gleichstellung der Nichter der verschiedncn Instanzen au Naug und Einkommen, die Verteilung der Geschäfte unter die einzelnen Nichter durch einen gerichtlichen Ausschuß — alles dieses siud weitere Epochen in der Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber dem Einfluß der Justizverwaltung. In diesen Bestrebungen ist mau soweit gegangen, daß man anscheinend garnicht erwogen hat, ob nicht dem Nichter auch von unten her ein Einfluß drohe. Während des absoluten Staates glaubte mau