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Afghanistan und die Afghanen.
der exakten Naturwissenschaft vorgeworfen wurde, haftet auch den Werken an, welche das Vorbild der letztern auf dem Gebiete des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens befolgen. Das schließt nicht aus, daß man aus geuauen Beobachtungen desselben zur Annahme gewisser Erfahrungssätze gelangt, welche unser Leben in der Regel beherschen, und wenn sich dabei zeigt, daß die Produkte des menschlichen Geistes und Willens diese wiederspiegelu, so ist es eben naheliegend und für unser Verständnis fördernd, wenn wir die Gesellschaft und den Staat mit dem Organismus des menschlichen Körpers vergleichen. Gum- plowiez wendet sich mit Schärfe gegen die alleinseligmachende Lehre der Statistik und beweist, wieviel auf diesem Gebiete gesündigt wird. Was ist mit Zahlen nicht schon alles bewiesen nnd gerechtfertigt worden! Aber wir fürchten, daß mit seinen Naturgesetzen nichts andres erreicht ist, als die Vertreibung des Teufels durch den Beelzebub, und der Kreislauf der Entwicklung, von welchem er spricht, wäre eigentlich wieder bei dem türkischen Kismet angelangt. Nach seiner Lehre muß der Einzelne machtlos dem blinden Walten der Natur zusehen:
Müssig sieht er seine Werke Und bewnndernd untcrgehn.
Afghanistan und die Afghanen.
2.
ie jetzigen militärischen Einrichtungen in Afghanistan rühren im wesentlichen von Schir Ali her, der überhaupt vielfach schöpferisch und reformatorisch wirkte. Nachdem er 1363 seinen letzten Gegner und Nebenbuhler, seinen Neffen Abdurrachman, den jetzigen Emir, und seinen Bruder Asim Chan besiegt und zur Flucht ms Ausland genötigt hatte, befand sich das gesamte Reich, das er von seinem Vater Dost Muhammed geerbt hatte, unbestritten in seinem Besitze. Ein gewöhnlicher Geist hätte sich damit begnügt und auf seinen Lorberu der Ruhe gepflegt. Er aber vermochte nicht lange unthätig zn bleiben, und so machte er sich sofort an Verbesserung der Zustände und entwarf dann weitere reformatorische Pläne, deren Verwirklichung ihm allerdings nicht gelingen sollte, da der Einbruch der Engländer ihn schließlich zur Flucht nach Russisch-Turkestan zwang nnd er während derselben in Masari Scherif starb. Vor allem wendete Schir Ali seine Aufmerksamkeit den Heereseinrichtungen zu. Bisher hatte es, abgesehen von einer