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Heilung des jetzigen Übelstandes versucht werden. Der Vorschlag des mehrjährigen Etats ist abgelehnt, weil man fürchtet, daß dann nicht alle Jahre eine Zusammenberufung der Reichs- vder der Landesvertretnng stattfinden werde. Es bleibt also nnr eine intensivere Behandlung der Vorlagen übrig, welche weniger Wert auf große und schöne Reden legt, als auf Unterdrückung alles dessen, was nicht unbedingt zur Sache gehört. So könnte es beispielsweise genügen, weuu der Standpunkt der einzelnen Parteien zu einer Vorlage nur bei eiuer Lesung und nicht wiederholt womöglich bei allen drei Lesungen dargelegt würde; jede Partei weiß ja doch, daß sie die cmdre nicht überzeugt; es ist nicht erforderlich, diese vder jene theoretische Frage, welche seit Jahren erörtert ist, immer von neuem so gründlich als möglich durchzuarbeiten, z. B. die Währuugsfrage, den Kulturkampf, deu Gegensatz von Schutzzoll oder Freihandel u. s. w. Aber ganz besonders dürfte bei den Etatsberatungen an Zeit gespart werden können, nnd zwar in doppelter Beziehung.
Es macht zunächst einen sonderbaren Eindruck, wen» z. B. bei der Beratung von Organisationsgcsetzen bestimmt wird, daß gewisse Behörden mit einer festgesetzten Anzahl von Mitgliedern, deren Gehalt sogar gesetzlich geregelt ist, bestehen sollen, und nun alle Jahre von neuem bewilligt werden mnß, daß nnch diese gesetzlich feststehenden Snmmen ausgezahlt werden dürfen, während niemand daran denkt, das diesen Ausgaben zu gründe liegende Gesetz zum Gegenstande der Anfechtung zn mache». Man denke sich einmal die Konsequenzen! Gesetzt, die betreffende Ausgabe, beispielsweise für einen Gerichtshof, würde nicht bewilligt, wäre damit die Notwendigkeit zur Bestreitung der für diese Behörde bestimmten Ausgaben für den Staat beseitigt? Mit Nichten; jedes Mitglied derselben hat durch den mit Annahme der Anstellung abgeschlossenen Vertrag das Recht auf den Bezug seiues Gehaltes gewonnen und kann den Fiskus auf Zahlung dieses Gehaltes verklagen, svdaß die Debatte über die Bewilligung des fraglichen Etatspostens streng genommen zur Komödie wird. Nur grenzenlose politische Naivität war es, daß man seiner Zeit die Mittel für die große Hecresorganisation nur auf ein Jahr verwilligte und später wieder streichen wollte, als wenn man alle daraufhin ernannten Offiziere, alle infolge davon abgeschlossenen Verträge über Erbauung nener Kasernen, Beschaffung neuen Kriegsmaterials n. f. w., durch die Verweigerung der Mittel hätte nicht existent machen tonnen. Hat der Staat Verpflichtungen übernommen, so muß er sie halten wie ein Privatmann, welchen: es auch nicht freisteht, durch Änderung seines Jahresbudgets rechtlich übernommene Verpflichtungen, etwa seine Wohnungsmiete, zu beseitigen. Steht dies aber sest, siud die Verpflichtungen des Staates bis zur Beseitigung der Gesetze, auf welchen diese Verpflichtnngen beruhen, giltig, dann bedarf es auch dercu Beratung im Etat nicht, so lange man nicht die grundlegenden Gesetze anfechten will. Es könnten deshalb alle die Etntsposten, welche auf solche» gesetztichen Verpflichtungen beruhen, der