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oder auch nur das Gefühl sittlicher Verantwortlichkeit durch physiologische Einflüsse wesentlich abschwächen lassen. Diese ethnologische Dramaturgie, deren Ursprung aus A. W. Schlegel zurückführt, hat die neuere Kritik längst zu den Todten geworfen, in der Volksphantasie aber lebt sie munter fort. Shakspeare hat den Mohren nur gebraucht, um durch das Pariagefühl des Schwarzen das Mißtrauen zu motiviren, das der Held, bei allem durch Verdienst und Ehren begründeten Selbstgefühl, gegenüber einer Gattin aus der Brahmcmenkaste zu empfinden geneigt war. Zugleich mußte die afrikanische Abstammung dazu dienen, mit größtem Nachdruck die glühende Leidenschaftlichkeit hervorzuheben, die der Mohr durch die Zucht eines überlegenen Willens dem „Chaos" entrückt und, mit starker Hand, doch nicht völlig gebändigt, in den Dienst großer Zwecke gestellt hat. Uns will bedünken, daß man durchweg einen Mann, der diese große Aufgabe inmitten einer Gesellschaft, deren schlecht verhehlter Hochmuth sein lebhaftes Ehrgefühl nicht selten tief verletzen mußte, dennoch so schön gelöst hat, daß man diesen Mann durchweg zu niedrig angeschlagen hat; wie man umgekehrt Desdemona zu hoch zu stellen pflegt, und so den Sinn der Tragödie verwirrt. Othello ist einer jener Charaktere, die sich selbst erzogen haben, und denen dies so vortrefflich gelungen ist, daß man sie, nach dem Wort des großen deutschen Dichters, stolz auf den Werth des Menschen der Welt zeigen, und von ihnen rühmen darf: „Seht, das hat ihm Keiner gegeben, das ist er selbst!" Nie von Kleinem oder Niedrigem erregt, in allen persönlichen Beziehungen, selbst den öffentlichen Kränkungen Brabantio's gegenüber, von überlegener Gelassenheit, bricht „die elektrische Willensmacht des Feldherrn" nur da durch, wo es gilt, Wohl und Ehre des Staates zu verfechten: auf dem Schlachtfeld, wo Venedigs Dasein bedroht, in der Fremde, wo seine Bürger verunglimpft werden, im Kriegsdienst auf Cypern, wo die Disciplin des Heeres und die Ruhe der Insel gefährdet erscheinen.
Noch in solchen Stunden ruht seine Leidenschaft auf dem Grunde fast unerschütterlicher Selbstbeherrschung: die Kugeln, die den eignen Bruder ihm von der Seite reißen und „seine Schlachtreihen in die Lust sprengen", bringen seine Seele nicht aus dem Gleichgewicht. Ein Mann von gewaltiger, gehaltener Kraft, die Keiner bändigt als er selbst; der mit ruhiger Ironie Brabantio's gezückte Schwerter aufhält; der halb ein Knabe noch „mit kleinem Arm und gutem Schwert" durch mehr als zwanzigfache Uebermacht sich durchschlug; von dessen Streich nachmals, „regt er sich nur, der Beste fällt." Solch eine Eiche vom Sturm geknickt zu sehen, ist ein tragisches Schauspiel; eine „Bestie" zu erblicken, die gegen ein Weib wüthet, wäre nur gräßlich.
Ein solcher Mann nun, so edel und stark, vermag uns tief zu rühren, wo wir ihn, an Liebe und Ehre tödlich verwundet, ganz gebrochen sehen-