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die Forderung reinster, unmittelbar materieller Gerechtigkeit werde verwirklicht werden können und lehrreich in dieser Beziehung ist uns insbesondere ein Artikel, in welchem vor Kurzem eine hervorragende liberale Zeitung (Nationalzeitung vom 19. Juni 1873 Nr. 279) die Vorzüge des Schöffengerichtes schließlich resumirte.
Das Schöffengericht soll dem Verfasser dieses Artikels zufolge das Rechtsbewußtsein des Juristen einströmen lassen in das Volksbewußtsein und umgekehrt wieder dieses in jenes; das letzte Ziel aber soll ein Zustand des Rechtes sein, in welchem nicht gewisse Strafen an gewisse Kategorien von Handlungen geknüpft werden, sondern in welchem dem Richter schließlich die Freiheit gewährt werden soll, die Strafe nach dem Gesammtchara kter der Handlung, d. h. also dem Vorstehenden zufolge nach dem allgemeinen Gefühle- zu erkennen.
Der Verfasser des Artikels hat unsrer Ansicht nach, wenn er diesen Zustand bezeichnet als das letzte Resultat des Schöffengerichts, mit welchem ja auch nach den Ausdrücken der officiellen Denkschrift die nationale Selbständigkeit und Schöpfungskraft bethätigt werden soll, selbst die schärfste Verurteilung des gesammten Instituts ausgesprochen: unter der Zugluft, welche ein derartiges Hin- und Herströmen von Rechts- und Volksbewußtsein begleiten dürfte, würde unseres (Trachtens, um des gebrauchten Bildes weiter uns zu bedienen, vermuthlich der Freiheit und folgeweise auch einem guten Theile unsrer Cultur das Lebenslicht ausgeblasen werden. Des zum Beweise ist es nur nöthig, des vielbesprochenen, so allgemein perhorrescirten § 20 des neuen von Preußen eingebrachten Preßgesetzentwurfs sich zu erinnern. Dieser Paragraph enthält für die Presse genau das, was der Verfasser des Artikels als den im Allgemeinen für die Strafrechtspflege wünschenswerthen Zustand betrachtet. Gewiß muß man anerkennen, daß Derjenige Strafe verdient hat, der wirklich die Grundlagen der staatlichen Ordnung, der Familie, des Eigenthums u. s. w. angreift oder wirksam durch ein Preßerzeugniß gefährdet. Die Schwierigkeit liegt nur darin, in einer vom individuellen Belieben unabhängigen Weise zu bestimmen, wenn jene Voraussetzung zutrifft, und weil nun fortwährend die Presse eine derartige Anklage zu befürchten hätte, würde jener Paragraph nichts Anderes als den Tod der freien Presse bedeuten. Die Folgerung scheint hiernach gerechtfertigt, daß jenes angeblich ideale Strafrecht, von welchem der Paragraph 20 des Preßgesetzentwurfs nur eine einzelne Anwendung sein würde, den Tod der Freiheit überhaupt bedeuten würde.
Während nun anfangs die Erfinder und Vertheidiger-des Schöffengerichts dasselbe lediglich aus praktischen Gründen zu rechtfertigen suchten und etwa nur den Namen des neuen Instituts in Anknüpfung an das altdeutsche