Lin antiker Uonmn.
Die Babyloniaka des Jamblichos.
Wir sind gewöhnt, in der classischen Literatur des Alterthums die Typen einer jeden Dichtungsart zu suchen und zu finden. Ueberraschen muß daher, wenn diese Gewohnheit auf einem Gebiet der Literatur einer Täuschung begegnet, umsomehr aber muß überraschen und dabei das Interesse fesseln, wenn dieses Gebiet gerade dasjenige ist, welches in der Gegenwart die hervorragendste Stelle einnimmt: wir meinen den Roman.
In der That erfreut sich der Roman in der modernen Welt vorzugsweise vor anderen Dichtungsarten in alleiA Kreisen der Gesellschaft, und bei beiden Geschlechtern, trotz des verschiedenen Bildungsganges derselben gleicher Theilnahme, er ist überhaupt jetzt die einzig wirklich populäre Dichtungsart. Vom nationalen Standpunkt aus dürfen wir hinzufügen: er ist auch die dem germanischen Geiste entsprechendste Dichtungsart, besteht doch sein Hauptwesen in der Entwickelung und Schilderung von Charakteren und der Jndi- vidualisirung der Menschen und Dinge. Auf diesem Gebiet der Literatur errang daher der deutsche Geist durch Göthe in Werther, Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften die Palme, welche uns in Epos und Drama andere Nationen noch streitig machen mögen.
In der antiken Welt sehen wir uns vergeblich nach einem Romane um, welcher, wie im Epos Jlias und Odyssee, wie im Drama die vier großen Athener, uns mit dem Nimbus eines Werkes ersten Ranges entgegenträte. Daher kommt wohl auch, daß die — immerhin vorhandene und nicht werthlose — Nomanliteratur des Alterthums selbst in solchen Kreisen verhältnißmäßig fremd ist, in denen die antiken Epiker, Dramatiker, Geschichtsschreiber und Philosophen völlig geläufig sind. Daher dürfte gerechtfertig sein, die Blicke der Leser ein Mal diesem so wenig besuchten Gebiet der classischen Literatur zuzuwenden und zwar, der ältesten bedeutendsten Erscheinung dieser Dichtungsweise aus den Zeiten des griechischen Alterthums, den in der Ueberschrift genannten: Babyloniaka des Jamblichos. —
Grcnzbotcn II. 1871. 96