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Politische Rundschau.
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516
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unternommen-, da aber eine Kräftigung Oestreichs und mit dieser eine Wiederauf­nahme der östreichischen Feindschaft gegen Preußen möglich und wahrscheinlich ist und für den Fall eines Konflikts zwischen beiden Mächten die bayrischen Soldaten massenweise zu Oestreich desertiren würden, sei es überflüssig, die Armee n.rch preußischer Art zu reorganisier! In der That ein Ki-gumenwm irct Irominem wie es schlagender kaum ausgebracht werden konnte! Der Glaube an die Unfehlbarkeit des östreichischen Glückssterns entzieht sich wie jeder Glaube der Kritik: stützt er sich aber wie im vorliegenden Fall anzunehmen ist, auf die Ü berzeugung von der europäischen Nothwendigkeit einer Großmacht an der Donau, so ist daran zu erinnern, daß diese Nothwendigkeit durchaus keine deutsche ist. Die wachsende Bedeutung des Panslawismus macht die Existenz Oestreichs in der That unentbehrlich, aber nur eines Oestreich, das seinen Beruf im Osten sucht und das sich an einen wirklichen deutschen Staat lehnt.

Wmiderbar genug, daß der Partikularismus sich nur ein Oestreich denken kann, wie er es eben braucht, und daß der Glaube an die Möglichkeit der Wiederherstellung dieses Horts der kleinen Souverainctätcn stärker ist. als die Wirllichkeit, in welcher wir seit nunmehr achtzehn Monaten leben! Es werden nicht nur die süddeutschen Staaten selbst durch diesen Glauben an einer rich­tigen Beurtheilung der realen Verhältnisse verhindert, die östreichischen Staats­männer stehen fortwährend unter dem Einfluß der Gläubigkeit ihrer früheren Bundesgenossen und können nicht umhin, derselben Rechnung zu tragen. Die Spanne Zeit, welche zwischen der Annahme der preußischen Zoll- und Bünd- nißverträge und dem Zusammentritte des Zollparlaments liegt, wird jenseits des Main gerade so benutzt, als ließe sich an den Verpflichtungen, welche man übernommen hat, nachträglich etwas ändern. Man thut sein Möglichstes, um die eiserne Nothwendigkeit, welche vor kaum vier Wochen zur Fügsamkeit zwang, zu vergessen nnd Übersicht dabei, daß den lustigen Träume.n, denen man sich hingegeben, ein desto peinlicheres Erwachen folgen muß. So groß ist die Macht der vorgefaßten Meinungen und die Gewohnheit,' an liebgewordenen Vorstellungen festzuhalten, daß man Untersuchungen darüber, ob Prcußen während des vorigen Jahres an eine Grcnzberichtigung mit Frankreich gedacht hat, für wichtiger hält, als Betrachtungen über die gegenwärtige Annäherung Oestreichs an denwelschen Erbfeind". Was man auf bloße Vermuthungen hin für einen genügenden Grund zur Verlästcrung der Bismarckschcn Politik ansieht, heißt, wenn Herr v. Beust ins Spiel kommt: traurige Folge unglücklicher Verhältnisse! So bringt seit Auflösung des alten Bundes jeder neue Tag neue Zeugnisse dafür bei, daß die süddeutschen Staaten zu einer selbständigen Existenz unfähig sind. Die anderthalbjährige Periode ihrer Hcrrenlvsigkcit ist wenig mehr, als eine Kette von Vanqncrottcrklä- rungen der Politiker gewesen, welche Jahrzehnte lang von der Möglichkeit eines