Contribution 
Zur Erinnerung an Lessing.
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wußten, Wohl dachte er groß und menschlich von den niederen Ständen, von »dem mit seinem Körper thätigen Theile des Volks, dem es nicht sowohl an Verstand als an Gelegenheit ihn zu zeigen fehlt", er wünschte ihnen als Trö­stung Gedichte zum Preise derfröhlichen Armuth". Er selber indeß suchte sich andere Leser. Wie er sich hinausgerettet aus dem Bannkreise der alten Stände, so sprach er auch zu einem gebildeten Publicum, das keine Stände kennt, und half also diesen Kern unsres Volkes erziehen, der in der Literatur zuerst, dann im Staate zur entscheidenden Macht emporwachsen sollte.

Zum ersten Male sahen die Deutschen das ruhelose und doch nie würde­tose Leben eines abenteuernden Schriftstellers. Sie wissen, wie schön Goethe dies geschildert:Lessing warf die persönliche Würde gern weg, weil er sich zutraute, sie jeden Augenblick wieder ergreifen und aufnehmen zu können." Wie geistvoll hier der Herzenskündiger geurtheiit, das mag Ihnen ein erst vor Kurzem wieder aufgefundenes Epigramm aus Lessings Studentenzeit bewähren. Goethe hat es nie gekannt, und doch stimmt es wörtlich mit seinem Urtheile übcrein. Achtlos, übermüthig wirft der Dichter in den ersten Zeilen seine Würde hin, um sie am Ende gefaßt wieder auszunehmen in den Versen:

Wie lange währt's, so bin ich hin Und einer Nachwelt untcr'n Füßen. Was braucht sie, wen sie tritt, zn wissen, Weiß ich nur, wrr ich bin.

Worte, überaus bezeichnend für Lesstngs rasche, ungestüme Weise des Lebens denn er vor Allen besaß jenen gemeinsamen Charakterzug aller vorwärts­strebenden Geister, die Gleichgiltigteit gegen seine eignen Werke, sobald sie vollendet aber bezeichnender noch für die Meinung, welche unsres Volkes beste Männer von dem Werthe des Nachruhms hegten. Ist den hellen Köpfen der Romanen der Nachruhm das eingestandene höchste Ziel des Schaffens, so leben die Deutschen des Glaubens: der Ruhm sei. wie die Liebe, wie jedes ächteste und höchste Glück des Lebens, eine Gnade des Geschicks, die wir in Demuth hinnehmen, doch nimmermehr erstreben sollen. Und noch immer hat unser Volk sich jener Männer mit der wärmsten Liebe erinnert, die am wenig­sten davon geredet, daß sie ein solches Gedächtniß erhoffen. Einen leisen Schatten freilich hat diese harte, kampferfüllte Jugend in Lcssings Wesen zurück­gelassen. Jenen prosaischen, nüchternen Zug, der Lessing von späteren glück­licheren Dichtern in ähnlicher Weise unterscheidet, wie Friedrich der Große einem Cäsar, einem Napoleon gegenübersteht. Sie können ihn nicht allein aus der Naturanlage des Dichters erklären. Erinnern Sie sich, da'ß in je­nen Tagen, wo das Gemüth jede Härte am schmerzlichsten empfindet, kein Frauenauge gütig über ihm waltete, daß ihm allein die streng abweisende Mutter, die lieblos meisternde Schwester gegenüberstand. Und jene innige

Greiijboteu I. 1L63. 39