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fühlte: „Ich glaube, daß diejenigen, welche gegen den Antrag und für die Vorlagen des Ministeriums stimmen, unmöglich gegen die Rechte der Krone stimmen können/' ändert an dem Factum nichts, daß fast drei Viertel des Hauses sich den Ansichten des Herrn v. Klcist-Nctzow angeschlossen haben. Es ist nur eine neue Auflage des Schauspiels, das wir bei den Wahlen mitangcschcn haben, daß hohe Staatsbeamte diejenigen Wühler, welche für die Minister und deren Anhänger stimmten, als Feinde der Krone bezeichneten!
Wir sind weit entfernt, den Mitgliedern des Herrenhauses das Recht streitig zu machen, ihren Ansichten gemäß zu stimmen und, wenn ihre Ueberzeugung sie treibt, das Ministerium aus Leben und Tod zu bekämpfen. Was wir sür die Abgeordneten in Anspruch nehmen, muß auch für den andern Factor der legislativen Gewalt gelten: ihrer Ueberzeugung zu folgen, ist nicht nur ihr Recht, fondern ihre Pflicht. — Es fragt sich nur, was hat uuter diesen Umstünden die Negierung zu thun, falls sie die Ueberzeugung hat, die wahrhaften Interessen der Krone und des Landes zu vertreten?
Sobald man, bei dieser Ueberzeugung, die Majorität der Abgeordneten gegen sich hat, steht der Weg einer Appellation an das Land, d. h. einer Auflösung der Kammer offen, bei einer systematischen Opposition des Herrenhauses ist dieser Weg verschlossen, und es bleibt nur einer übrig: Ernennung neuer Mitglieder durch die Krone. In Großbritannien hat man diesen Weg mit Erfolg betreten.
Es ist freilich immer ein schwerer Entschluß, und es zeigt sich in solchen Fällen wieder recht deutlich, wie wenig Preußen im Stande ist, ein Herrenhaus zu tragen. Wo soll man die Pnirs hernehmen, ohne dem Institut seinen Glanz zu entzichn? — Indessen bei näherer Ucberlcgung findet sich, daß, wie das Haus schon jetzt beschaffen ist, der Abstand nicht so ungeheuer sein würde, und, was die Hauptsache ist, es gibt keinen andern Weg, wenn nicht die gcsammte Thätigkeit der Regierung pciralysirt werden soll. — Außerdem glauben wir nicht, daß man so weit zu gehen nöthig haben würde: die scste Erklärung des Prinzrcgcntcn, er werde sich im äußersten Fall dieses in der Verfassung vorgesehenen Mittels bedienen, würde so manche von den eifrigsten Kreuzrittern in ihren Ansichten wankend machen. — Wie nothwendig es aber ist, das Haus, ganz abgesehen von diesem Conflict, durch neue Kräfte zu ergänzen, ergibt sich aus der Weisheit in staatswirthschastlichcn Angelegenheiten, welche die Redner der Majorität entwickelt haben. Wenn General Grumb- kow nach hundertjährigem Schlaf heute plötzlich erwachte, er würde nicht anders sich ausdrücken, als einzelne dieser Redner.
Das Herrenhaus hat bei dieser Gelegenheit auch die politische Frage des Augenblicks in Betracht gezogen, und der Erklärung des preußischen Ministeriums vom 9. März seinen Beifall gezollt, allein in einer Weise, die dcn antwortenden Minister, wie es scheint, zu dem Glaubcu veranlaßt hat, jene Erklärung sei mißverstanden worden. Grade weil wir diesen Glauben theilen, scheint es uns jetzt an der Zeit, einen deutlichen Ausdruck der prcußischcu Auffassung zu wünschen, und demnach vom Hause der Abgeordneten aus eine Anfrage an das Ministerium zu richten. Es gilt nämlich die Beantwortung einer sehr bestimmten Frage.
Bis vor kurzer Zeit lag die Kriegsgefahr, wie die preußische Erklärung ganz richtig bemerkt, mehr in der gereizten Stimmung einzelner Mächte als in realen