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die Spannung und Gereiztheit, welche von jeher zwischen Weißen und Farbigen geherrscht hatte.
Wie gehässig die Negierung dem gebildeten Theile der Gesellschaft gesinnt war, zeigt ein anderes durch den Kongreß sauctionirtcs Gesetz-, das über die Militürpslichtigkeit. Bisher war die weiße Classe mehr oder weniger frei vom Militärdienste gewesen. Farbige zumeist setzten das stehende Heer zusammen, es gab auch schwarze Generäle. Nach dem neuen Gesetz sollte jeder Venezolaner zwischen 18 und 45 Jahren Soldat sein, und der Sohn guter Familie unter dem Befehle roher Farbigen dienen, an der Seite von Leuten, die kurz vorher seine Sklaven gewesen waren. Das griff ins Herz und Leben der Familie ein. Die Bäter verheimlichten den Aufenthaltsort ihrer Sohne, andre gingen auf Reisen, aber es geschah auch in den Tagen der Aufregung, daß gebildete junge Leute auf der Straße gegriffen, fortgeschleppt und zum Dienst gezwungen wurden, Man denke sich die Zerrüttung in den Familien. Die Dienstboten, welche Sklaven gewesen, liefen meist fort, theils freiwillig, theils verführt durch Versprechungen höheren Lohnes; die Söhne verfolgt oder nur durch bedeutende Geldopfer vor Aushebung sicher, und dazu die Subsi- stenzmittcl täglich mehr in Frage gestellt- der Terrorismus konnte nicht ärger sein.
Dazu kamen noch andere dem Gemeinwohl gefährliche Congrcßbeschlüsse. vor allem die außerordentliche Vollmacht, mit welcher der Präsident auf unbestimmte Zeit ausgerüstet wurde. Zugleich ließ sich dieser ermächtigen, 7 neue Divisions-, 9 neue Brigadegenerale und 29 Obersten zu crciren — ganz im Mißverhältnisse zum Bestand des Heeres, und unter diesen Offizieren zählte man allein 5 oder 6 Mvnagas. Obendrein ließ Gregorio sich und seinen Bruder Tadeo zu Obergeneralen auf Lebenszeit ernennen, womit sich entsprc chender Gehalt verband. Es war nichts als die abgefeimteste Blutsaugerei, gehässigste Verfolgung und gewaltsamste Brandschatzung der Gesellschaft, und der Congreß das gehorsame Organ.
Man rechne dazu die kleineren, aber ost tiefer empörenden Bexationeu im täglichen Leben von Seiten theils der Regierung, theils der übermüthigen, höhnischen Zambos und Neger, und man wird sagen : dieser Zustand war zum Verzweifeln. Aber der Venezolaner verzweifelt nicht so leicht. Nicht etwa aus sittlicher Kraft: wol aber aus Apathie, aus schlaffer, thatenloser Hingabe an die Gewalt, ans sanguinischer Hoffnung einer plötzlichen Hilfe von irgend woher, wo nur seine stetige, ausdauernde, straffe Mitthätigkctt nicht in Anspruch genommen wird. Indeß fanden sich noch mehre knmpfcslustige Jünglinge, deren Patriotismus über die Phrase hinausging. Entschlossen, unter der Fahne der Freiheit zu dienen und sonder Bedenken ihr Leben einzusetzen, reisten sie heimlich nach den Westprovinzen ab. —