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Gulden lebenslänglich beziehn. Am 31. Juni bat er den Landgrafen um seineu Abschied, und erhielt denselben nach einigen Wochen. Im Ansang machten ihn die alten Umgebungen ganz glücklich, doch fühlte er bald das Drückende seiner Lage. Tronchin. alt und verdrießlich, um ihn in beständiger Abhängigkeit zu erhalten, ertheilte ihm sein Almosen — denn etwas Anderes war es nicht — immer nur mit Murren. Mehre Stunden des Tages mußte ihm Müller vorlesen, und da er zugleich in der Stadt sein Kollegium wieder vortrug/) so flockten alle seine Arbeiten und seine Gesundheit wurde immer mehr angegriffen. Endlich hielt er es nicht länger aus, er entwich im Oc- tobcr 1784 auf das Gut Bonstettens Baleires. gab die Leibrente aus und arbeitete in strengster Einsamkeit an seiner Schweizergeschichte.^)
„Ich bin in meinem Leben bis dahin meist glücklich gewesen, fast nie aber auf dem Weg, den ich gehen wollte . . . Also wollen wir uns trösten, wenn das nicht geschieht, was wir wünschen . . . Ihr könnt mir glauben, da ich von Kindheit an die Geschichte der Menschen untersucht habe, daß ich
') Auch sein altes Kollegium »ahm bei seiner neuen Stimmung eine ganz andere Verfassung nn. Am W. Mai 1783 schreibt er an seinen Bruder. „Ich habe bemerkt, wie viel interessanter die Geschichte durch den Gedanken wird- alles ist vor Gott ans einmal; Pnulns Ae- milius lebt noch, und M. Cicero werden wir noch sehen, denn Gott ist nicht der Todten, sondern der Lebendigen Gott; nur sendet er jeden zu seiner Zeit, bis das große Drama ausgespielt ist, und alle versammelt werden, um ihr Urtheil zu hören; da es dcnu sich zeige» wird, wie vollkommen sich alles ineinanderfügte." Das war nun freilich nicht der Plan, nach dem er ursprünglich seine allgemeine Geschichte angelegt hatte. Er mußre sie daher in der ersten Hälfte des Jahres 1784 (das Kollegium beendete er Mitte Juli) völlig umschrcit'cn. „Viele» ist mit Feuer, das Meiste mit Stachdruck geschrieben; und wenn Gott will, so werde ich inner 1ü oder 20 Jahre etwas daraus inachen; ich möchte den Geist jeder Zeit auszeichnen, und aus demselben die Geschichten, aus diesen aber die Veränderungen jenes erklären. Der Finger Gottes würde unglanbiich wie sichtbar sein."
") In diese Zeit fallen folgende Geständnisse. „Das ist an nur ein großer Fehler, daß ich zu geneigt bin, außer mir zu suchen, was in mir ist oder sein soll. Darum scheint mir jede noch nicht versuchte Lage und von denen, die ich schon erfahren habe, allemal die, in der ich nicht bin, immer der, worin ich mich befinde, vorzuziehen; darum ist nicht leicht ein europäisches Land, wohin z» gehn ich mir nicht bisweilen vorgenommen hätte, darum suchte ich vor vier Jahren das Glück im Norden, und vor zwei Jahren im Süd, und stelle mir seit einiger Zeit kein schöneres Leben vor, als das, welches ich im Norden fuhren würde, wo ich nicht habe bleiben wollen . . In der That habe ich meine Reisen immer in schlechter Gesellschaft gethan; denn ich habe mich mitgenommen. Der Traum schwindet nun endlich, der Tag bricht an, aber das Licht kommt nie ohne Dämmerung." (An Bonstetten, 17. Jan.
Sehr richtig weist er dann denselben Charakter bei seinem Freunde nach, er zeigt, wie gut es die Vorsehung mit ihnen gemeint- „Wie kommt es, daß, wenn Gott auf seine Erde !r s . " ""^ hundertmal seufzen und jammern hört, sür einmal danken und uns freuen ? Er hat Mitleid mit uus, aber kau» er uns glücklich machen, wenn wir uns nie fühlen wollen? Ganz unter nns, damit es ja niemand höre: wir sind ein Paar Personen, mit denen wirklich .uchts anzufangen ist!" Daher gehen denn auch die Vorwürfe der Wandclbarkeit fortwahrend von einem zum andern, nnd Müller ruft ganz traurig- „Sei doch einmal zufrieden Mit nur, damit ich mit mir selbst minder »nznfrieden sei!" -
Grenzbote» II. 1858.