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gcnwart" standen vor einiger Zeit zwei Artikel über die Oper und das Volkslied, die aus eine geistreiche Weise die Entwickelung der modernen Kunst mit den allgemeinen Fortschritten der Cultur und des nationalen Lebens in Verbindung setzten. Der Vcr- sasscr derselben, Herr Richl, der sich auch in anderen Fächern einen rühmlichen Namen gemacht hat, namentlich dnrch sein Buch „über die bürgerliche Gesellschaft", setzt hier seine Studien fort und giebt eine Reihe von einzelnen, aber der Tendenz nach mit einander zusammenhängenden Genrebildern aus dem Kunstlcben, die vor Allem den Zweck verfolgen, die Kunstgeschichte auch in den entlegeneren, minder glänzenden Kreisen, die man über den Hauptrepräscntantcn der künstlerischen Entwickelung gewöhnlich ganz übersieht, zu individnalisircn. Es ist ihm dieses auch wenigstens thcilwcisc in hohem Grade gelungen. Seine Charakteristik des Wiener Comvvnisten Wenzel Müller, dcö Verfassers der „Tcnselsmühlc", ferner des Kunstkritikers Mattheson und des Hosopcrn- eompvnisten Hasse ist durchaus vortrefflich, und eröffnet nns die interessantesten Blicke in das Kleinleben der Knust. Sehr hübsch angelegt und ausgeführt ist auch die Ver- glcichung zwischen Bach und Mendelssohn aus dem socialen Gesichtspunkte, die wesentliche Stellung des Erstem innerhalb des deutschen Bürgcrthums und das Hervorgehen des Letztern aus der sogenannten gebildeten Gesellschaft. Freilich darf man nicht erwarten, und es liegt auch nicht in der Absicht des Verfassers, eine erschöpfende Charakteristik von dem Kunstwcrth dieser Männer zu geben, er will nur die eine Seite desselben, sein Verhältniß zu den öffentlichen Cnltnrzuständcn beleuchten, und dies geschieht aus eine feine und geistreiche Weise. In Beziehung auf die Urtheile würde» wir im Einzelnen Manches einzuwenden haben, im Allgemeinen aber geht er mit der Grundansicht, die in unsren Blättern vertreten ist, Hand in Hand. Er ist fest davon überzeugt, woran freilich vor einigen Jahren noch kein Mensch zweifelte, daß die Musik eine Kunst für sich ist, die ihren eigenen Gesetzen folgt und die wesentlich nur durch das sinnliche Mittel des Gehörö nnd dnrch dessen Gesetze, Takt, Rhythmus, Melodie nnd Harmonie ans den Geist wirken kann. Er verwirst daher die Musik der Zukunft, die andere Organe ihrer Wirksamkeit gesunden zu haben glaubt, vollständig. — Eine Ausstellung dürfen wir nicht vorenthalten. Der Verfasser schreibt einen blühenden, individuell belebten Styl, der nnzwcifelhast dazu beitragen wird, die Aufmerksamkeit des Publieums lebhafter anzuregen, aber er übertreibt diesen Styl in der bekannten jungdcntschcn Manier; er führt eine Reihe burschikoser Ausdrücke nnd Wendungen in die gebildete Schriftsprache ein, die derselben nicht anstehen und die zur Jndividua- lisirnng auch keineswegs nöthig sind. Freilich ist dieser Styl heut zu Tage nicht mehr blos in Deutschland, sondern anch in Frankreich zu Hanse (z. B. Seudo schreibt ganz in der nämlichen Manier); aber er ist trotzdem zn verwerfen und von einem Mann von so durchgebildetem Geschmack, wie es Herr Riehl ist, läßt sich wohl erwarten, daß er sich von diesen Uebertreibungen wieder frei machen wird.
Deutsche Romane. Zu der Klasse der Dorfgeschichten werden hier alle Erzählungen gezogen, welche ländliche Verhältnisse mit behaglicher Breite nnd reichem Detail schildern, auch wenn die Helden derselben den Anspruch erheben, „gebildete" Menschen zu sein.
Der Pfarrer von Grnnrode. Ein Lebensbild von Heinrich Pröhle. 2 Thlc. Leipzig, Avenanns und Mendelssohn, -I8Ü2. Das Bnch stellt in Form einer