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Tagebuch.
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mehr einen ironischen Beigeschmack. Nirgends kann das Elend grö­ßer sein, als bei uns. Ich bin in den Hütten polnischer Bauern ge­wesen und sah, wie die Menschen mit den Schweinen in schmutziger Friedlichkeit zusammenwohnten und aßen. Sie waren glücklich, denn sie kannten's nicht anders. Die schlesische Armuth hat bessere Tage hinter sich, und in der Zukunft droht ihr der Hungertod. Zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit und der Furcht vor dem künf­tigen Tage sitzt sie im öden, trostlosen Mißmuth und webt ihr eige­nes Leichenhemde. Der Rcgierungsasscssor A. Schmer hat auf Kosten des hiesigen Comites zur Linderung der Noth unter den Gebirgsbe­wohnern fünf Wochen lang Pauvertätsstudien gemacht, und in einem Berichte das, was er mit eigenen Augen gesehen, getreulich erzählt. Eine Haarstraubende Lectüre! Schnecr ist Salonmcnsch und Regie­rungsbeamter. Man kann sich denken, wie beredt der Thatbestand gesprochen, wenn solch ein Historiograph ihm gegenüber zu dem Ge­ständnis) der sprachlichen Unfähigkeit gezwungen wird. Es ist Zeit, daß die Pfingsten kommen und uns neue Sprachen lehren. Vorerst aber Phrasen, wie die vom Perlen-Schlesien, ausgerottet! An solchem Wortreichthum ißt sich Keiner satt. Und dann nehmt uns das Schloß vom Munde, daß wir zu stammeln versuchen können, ehe der Tag kommt, wo die neue Grammatik sich mit Keulenschlägen anmeldet. In einem Dorfe der Grafschaft Glatz haben die Bauern der Grund- Herrschaft die Handfrohndienste aufgesagt. Die Widerspenstigen sitzen bereits im Kreisarrest zu Habelschwerdt. Die kleinen Eigenthümer in Schlesien befinden sich zu ihren Grundherren in demselben Verhältniß, wie die Weber und Spinner zu den Fabrikanten. Das arme Volk arbeitet, und die Reichen haben den Lohn dafür. Wir trösten uns damit, daß der liebe Gott und Duncker uns nicht verlassen werden. Letzterer hat sich in Langenbielau zur Freude aller Berliner Spitzbu­ben häuslich niedergelassen und soll bereits eine Agentur seines haupt­städtischen Geschäfts eingerichtet haben. Auf das Soll bitte ich ei­nen Accent zu legen, denn ich schreibe blos, was man sich hier in Brcslau überall in die Ohren raunt. Wir gehen somit einer schönen Zukunft entgegen. Findet doch jetzt schon die Allgemeine Preußische Zeitung Manches bei uns, was zu loben ist, wie z. B. die Gedichte zweier Lebendigen, die vor Kurzem in Breslau erschienen sind. Sie meint, es gebe eine gewisse Sorte politischer Dichter, welche durch polizeiliches Einschreiten am besten widerlegt werden könnten. Trotzdem hatten die beiden Lebendigen nicht ein Ucbriges gethan, daß sie den Herwcgh, Gottschall und Dingelstedt (!) ein Bischen mit Nuthenstrci- chen regalirt. Eine vortreffliche Kritik dieser Awei-Männer-Gedichte. Jede Zeile in letzteren tragt in der That die polizeiliche Uniform, aus jedem Worte schauen Büttel und Haltfeste hervor. R. Gottschall, dessen Freunde Sie neulich durch Abdruck einiger Scenen aus seinem