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kann hier weit mehr sub rosa geben; sie hat die Kunst, anzudeuten und ahnen zu lassen, weit mehr in ihrer Hand. Zedlitz verletzt mit seinem Verse, weil sein Stoff zarter ist, als der von ihm gewählte Vers. Und wo er nicht beleidigt, da wirkt er lächerlich. Seine Blicke auf das Reich der Vierfüßer, wie Hengst und Stute von Brunst getrieben werden, sind als Parallelen zur süßen Verirrung zweier unschuldigen Menschenkinder beides zugleich, anstößig und ko- misch. Komisch aber wollte Zedlitz nicht wirken.
Alles das trifft, wie ich sage, den einleitenden Theil des Ge- dichtes. Es beweist mir die Schwierigkeit, in Ton und Farbe un- schuldig zu sein und unschuldig auf Lesex von heute zu wirken. Zedlitz fand nicht gleich die Stimmung ; erst im Verlaufe spricht ex in eigenen Versen, findet er für seinen Stoff Form, Haltung, Kleid und Harmonie mit seinem Inhalt. Noch die Scene, wo der Wolf die Prinzessin im Walde findet, nachdem sie das Fräulein geboren, ist kindisch.
,,Wolf, was ist dein Maul so blutig?
Warum hängt Dein Bauch zur Erde?" Der Wolf hat nämlich der Prinzessin den Schenkel angefreffen.
,,Es hat der Wolf beflissen Darein mit scharfem Zahn gerissen."
Man wolle nicht entgegnen, dies sei eben dcr bezweckte Ton des Kindermärchens. Ein solches hat Zedlitz nicht geben wollen; der Stoff liegt den Fabeln für Kindex ganz fern. Der Leser, der diese Partien des Gedichtes unschön findet, hat ganz Recht ; die Nai^ vetät des Vortrags ist Nichts als Nothbehelf. Erst in den spätern Theilen wird die Dichtung wirklich ein Erzeugniß des Dichters. Waldsräulein ist von einer Fee bei der Geburt gerettet und wird von ihr untex der Bedingung, sich nicht vom Gefühl der Liebe hin- reißen zli lassen, erzogen. Allein das Erbtheil der Sterblichen, in Liebe zu fühlen, ist auch ihr Loos, und die Fee verstößt sie Nun irrt sie arm und sreudenleer durch Feld und Wald, kommt zur alten Rothburga, der Hexe. Deren Sohn, der Köhler Caprus, ein Cretin wie Caliban oder wie die ähnliche Gestalt in Grillparzer's ,,Wehe dem, dex lügt", begehrt sie zum Weibe und Waldfräulein flieht vox der rohen Inbrunst des Ungethüms. Dann wandert sie wieder unstät