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Skizzen aus Berlin. I.: die Geheimnisse von Berlin.
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Schaum, die Oberfläche genießen, den tiefen, verborgenen, bittern Kern nicht kennen lernen. Um so anmaßend wie Du über Berlin urtheilen zu können, muß man dasselbe nicht blos bis in alle seine entferntesten Stadttheile, zu allen Tages- und Jahreszeiten, am frühen Morgen und in später Nacht, am kalten Wintertage und an dem lauen mondscheinhellcn Sommerabend, emsig durchwandert haben, man muß auch sein Leben, nach allen seinen Seiten und Rich­tungen, ergründet, studirt, durchforscht und durchlebt, den Blick lange geübt, nüchtern und klar gemacht haben für die Auffassung ganzer Verhältnisse und Zustände. Hättest Du dies je gethan, so würden auch die Geheimnisse von Paris Dich, ihrer realen Grundlage nach, sogleich an AehnlicheS erinnert haben, was Du hier schon erlebt und gesehn; Du würdest richtige Parallelen gezogen, wirkliche Unterschiede und Eigenthümlichkeiten gefunden haben. So aber bist Du ja nur ein Fremder in Deiner eignen Stadt, Du weißt kaum so viel von ihr als von Paris, und deshalb aber muß der Schriftsteller kommen, Dir ihr innerstes Wesen als ein Geheimniß aufdecken, Dich auf das­selbe hinweisen, Dir von ihm erzählen. Es ist das Bewußtsein uud der nothwendige Entwickelungsprozeß unserer Zeit, der auch in der sogenannten belletristischen Literatur sich zu äußern anfängt; auch sie will sich von der Illusion, in und von der sie bisher gelebt hat, emcmcipiren, will besonders aufhören, glänzendes Elend mit glän­zenden Farben zu übertünchen, vielmehr das wahre, wirkliche, aus unsern ganzen Zuständen hervorgehende, von den Meisten, wenn auch gefühlte, doch noch nicht begriffene, das nothwendige Elend des Einzelnen wie der Gesammtheit aus seinem geheimnißvollen Versteck hervorholen, es kritisch, so wie ist, darstellen und schildern. Ob die bei den angekündigtenBerliner Geheimnissen" beschäftigten Kräfte auch dieses Bewußtsein haben und deshalb dem im Titel angegebenen Zwecke Entsprechendes leisten werden, davon können und wollen wir hier durchaus nicht sprechen. Jedenfalls sehen wir, ist das Genre angeregt; sollten auch die ersten Versuche verfehlt und mißlungen sein, es wird nicht an jungen Kräften fehlen, die es immer wieder von Neuem und mit Liebe und Fleiß bear­beiten werden.