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Briefe aus Antwerpen : aus den Papieren eines reisenden Deutschen. I.
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Ich kann mich nicht enthalten, es hier auszusprechen, daß, wenn ich nicht schon Louis Philipp dem Monarchen, mein Zutrauen geschenkt hätte, so würde ich Louis Philipp dem Vater mein Herz öffnen. Unter der be­scheidenen Zahl guter Regenten, welche die Geschichte anfzuweisen hat, wa­ren die meisten zugleich gute Väter, jo wie umgekehrt die schlechten Väter jedesmal die größten Tyrannen waren. Die Scene, wie Frankreichs ge­lähmtester König, Heinrich IV., von den fremden Gesandten gerade in dem Augenblicke überrascht wird, wo er, seinen Kindern als Reitpferd dienend, auf allen Vieren im Zimmer umherrutscht, ist zu bekannt, um erst darauf hinzuweisen. Gewiß wäre Philipp der Zweite kein solcher Tyrann ge­wesen, wenn nicht die Vaterliebc in ihm vertrocknet wäre. Man weiß auf welche empörende Weise viele Personen ihre Reichthümer vergeudeten, weil sie nach ihrem Tode nur verhaßte, lachende Erben darnach greifen sahen; mit einem Gute, welches man einem geliebten Kinde vecerbt, geht man schonend um, und sucht es zu erhöhe». Einer der edelsten Fürsten, Joseph der Zweite, mit glänzenden Tugenden uud dem besten Willen ausgestattet, ist dem tragischen Geschick, nicht Vater zu sein, zum Opfer gefallen. Man kennt die Anekdote, in welcher gewissermaßen die ganze Rcgierungsgeschichte dieses unglücklichen Monarchen enthalten ist; als er den Pratcr in Wien an­legen ließ, befahl er, daß man keineswegs eine junge Baumschule anlege, sondern daß man allsogleich mit stämmigen, vielbelaubten Bäumen die Allcccn bepflanzen solle. «Ich will bei meinem Leben noch ihren Schatten genießen,/- sagte er; aber keiner der Umstehenden ahnte den großen menschlichen und welthistorischen Schmerz, der in diesem Augenblicke das große, cdclfühlcnde Kaiserhcrz durchströmen mochte. Weil Joseph keinen Sohn hatte, dem er seine Pläne uud Anfänge zur allmäligen Vollendung hinterlassen konnte, suchte er sie bei seinem Leben noch auszubauen, die Hast machte, daß er sich überstürzte, die eilfertige Unruhe trieb ihn zu willkürlichen Befehlen; weil er nicht Vater war ward er ein Tyrann.--Ja, hier in diesen Nie­derlanden, die gegen Josephs freigcistcrische Edicte, wie gegen Philipps ka­tholische Strenge sich erhoben, hier in Mitte der historischen Gegensätze, fühlt man es, welch ein vermittelndes Gefühl die Väterliche ist. Es ist eine der schönsten Ideen der christlichen Religion, daß sie den Sohn Gottes den Ver­mittler nennt.---------------