Die Hildebrand-Ausstellung in Berlin-
233
jahrein in immer sich steigerndem Umfange jene entsetzlichen Kunstmärkte veranstalten, das ist eine schwer erklärliche Erscheinung; die Werke, die der Stille ihres Arbeitsraumes, der Sammlung ihres Geistes entstammen, in denen sie sich der intimsten und individuellsten Seiten ihrer Natur bewußt geworden sind, unterwerfen sie freiwillig den denkbar ungünstigsten Bedingungen, geben sie dem Geräusch und Gewühl, der Übermüdung nnd der Teilnahmlosigkeit preis. Aus Künstlerkreisen selbst ist manche Stimme gegen dieses Treiben laut geworden, aber ich erinnere mich nicht, daß schon ein so wohlgelungener Versuch gemacht worden wäre, unter Beibehaltung der heutzutage nun einmal unumgänglichen Form der Ausstellung dem Künstler und dem Beschauer die gegenseitige Annäherung möglichst zu erleichtern. Auch der abgesagteste Feind alles modernen Ausstellungswesens wird einräumen müssen, daß es sich hier um mehr als um eine Gelegenheit zur Befriedigung der Neugier oder zur Pflege des kritischen Dünkels handelt, daß vielmehr dem Einzelnen die Möglichkeit und sogar die Anregung geboten ist, in ein intimes Verhältnis zu den ihm dargebotenen Kunstwerken zu treten. Wenn dazu mancherlei äußere Umstünde das ihrige beitragen, die stille Abgeschlossenheit des Raumes, die beschränkte Anzahl der Werke, die geschmackvolle und würdige Art der Aufstellung, die vortreffliche Verteilung des Lichtes, so liegt doch das eigentlich Besondre der Ausstellung darin, daß es sich um Werke handelt, die aus einer bestimmten Thätigkeits- und Entwicklungsperiode eines einzelnen Künstlers stammen.
Mit Recht ereifern sich die Künstler darüber, daß der frischen, lebenslustigen Produktion eine befangene, schulmeisterliche, grämlich pedantische Beurteilung gegenüberzustehen pflegt, aber sie leisten diesem Mißstand selbst Vorschub. Eine Zeit, die sich mit einem so ungeheuern ererbten Besitz an Kunstwerken abzufinden hat, ist ohnehin der Gefahr ausgesetzt, daß alle die Qualitäten und Vorzüge, welche Verständige und Unverständige einer vergangenen Produktion nachrühmen, sich zu Forderungen verhärten, die an jede fernere Produktion gestellt werden. Es ist nur zu erklärlich, daß das Verhältnis des Publikums zu den Kunstwerken abhängig geworden ist von mancherlei formulirten Ansprüchen, die als ein Recht dem Künstler entgegentreten. Selbst wer sich dieser Gefahr entziehen möchte, verfällt derselben unwillkürlich wieder, wenn er die Räume moderner Ausstellungen durchwandert; was bleibt ihm so zahlreichen und verschiedenartigen Leistungen gegenüber übrig, als sich seinerseits auf einen festen Standpunkt zu stellen, sich hinter seine ästhetischen, moralischen und anderweitigen Rechte zu verschanzen und die bunte Schar der auf ihn eindringenden Werke gleich einem feindlichen Angriffe von sich abzuwehren? Er wird es daher sehr wohlthuend empfinden, daß er dieser traurigen Notwendigkeit in dem vorliegenden Falle überhoben ist; indem er sich einer bei aller Mannichfaltigkeit der Äußerungen doch einheitlichen künstlerischen Erscheinung gegenüber befindet, wird er von selbst darauf geführt werden, derselben mit unbefangener Empfänglichkeit Grenzbotm IV. 1334. S0