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Literatur.
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ihm gern zu; will er aber den stummen Gehorsam als eine Charaktereigenschaft des Deutschen überhaupt hinstellen, so beweist er damit, daß er den Deutschen nicht kennt, denn nirgends ist die Neigung, dem eignen Kopfe zu folgen und sich gegen jeden Zwang aufzulehnen, so groß wie in Deutschland, Das müßte der gelehrte Predigermönch schon aus der deutschen Geschichte wissen. Leider bekundet er aber der Vergangenheit uusers Volkes gegenüber eine rührende Unwissenheit, Daß sich Deutschland schon einmal des Segens der nationalen Einheit crfrcnt hat und daß iu dem sechshnndertjährigen Leidenskampfe unsers Volkes, der mit dem Niedergange der Hohenstanfen anhebt, die Verlorne Einheit für die Besteu unsers Volkes jeder­zeit ein Gegenstand der Sehnsucht und das Ziel harter Arbeit gewesen ist, das ist ihm vollständig fremo geblieben. Er legt sich die Frage vor, wie das sv lange Zeit hindurch in kleine Staaten zersplitterte Deutschland mit einemmale von dem Ehrgeiz erfaßt werden konnte, die moderne zivilisatorische Bewegung zn beherrschen, und weiß hierauf keiue bestimmte Antwort zu geben. Nur meint er, die politische Einheit sei nicht die Frncht einer normalen Entwicklung des deutschen Genius, sondern sie sei von cmßeu her, durch die unverhoffte» Siege über das überraschte Frankreich den Deutschen zuteil geworden,Die Deutschen wissen das, uud sie siud überzeugt, daß eine Niederlage das zerstören könnte, was ein Sieg erschaffen hat. Um diese Einheit zu zerbrechen, bedarf es nur eines französischen Schwert­schlages (Seite 21). ,. Die unerhörten Siege erscheinen dem Deutschen mehr als ein Akt der Vorsehung als eiu mit Bedacht vollfnhrtes Werk der Tapferkeit, der Taktik und des Genies (Seite 20)," Er ist daher auch der Ansicht, daß sich die Deutschen durch Frankreich jederzeit beunrnhigt glauben und nnr mit instiutttiver Sor^e sich dem Scheine zuwenden. Groß kann ihm jedoch diese Sorge nicht er­scheinen, denn schon wenige Seiten spater schreibt er:Es giebt keinen Deutschen, der sich nicht wegen der Anzahl und Tapferkeit seiner Soldaten, wegen des Genies ihrer Generale, wegen der Überlegenheit der Heeresorganisation und Bewaffnung für unüberwindlich hielte." Warum Deutschland nnr durch einen Znfall seine nationale Einheit erlangt und nicht gleich andern Völkern ein gutes Recht auf dieselbe haben soll, dafür bleibt uus Didon den Beweis schuldig. Au einer andern Stelle (S, 127) macht er die Einheit der Sprache für die politische Umgestaltung uusers Vaterlaudes verantwortlich:sie ist es gewesen, die den nationalen Ehrgeiz und den Vorwand znr spätern uud, wie ich glaube, zerbrechlichen politischen Einheit gegeben hat." Ein andermal (S, 292) findet er, daß die deutsche Einheit eine der glühenden Leiden­schaften sei, welche die deutsche Uuiversitätsjugeud erfüllt. Ja, wenn wir ihm Glauben schenken dürfen, so war die Befreiung Preußeus vom Joche des ersten Napoleon vor allem ein Werk der deutschen Studeuteu. Und bei alledem soll die Einigung Deutschlands auf einer bloßen Zufälligkeit beruhen?

Wir schließen, um den Standpunkt des Verfassers näher zn kennzeichnen, mit dem Vergleiche, den er zwischen Franzosen und Deutschen anstellt.Gewisse Länder, schreibt er S, 286 ff,, habeu das letzte Wort ihres Ruhmes im Kampfe für die Unabhängigkeit gefunden; die französische Nation hat das Blut ihrer Söhne für den Triumph der Wahrheit und die Unabhängigkeit befreundeter Nationen ver­gossen, ,. Deu Deutschen dagegen nimmt das Vaterland vollständig gefangen. Das Interesse ist sein souveränes Gesetz. Seine großen Staatsmänner sind bloß Uti- litarier von Genie. Ihre egoistische, mehr auf Gewinn als auf Ruhm ausgehende Politik hat in dem Lande, welches ihre Orakelsprüche kritiklos, passiv hinnimmt, niemals die geringste Mißbilligung erfahren." Ein Körnchen von Wahrheit ist in dem Urteil über die Deutschen insofern enthalten, als infolge der letzten großen