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Literatur.

ähnlich lautende Wortstäminc derselben oder verwandter Sprachen einen geradezu entgegengesetzten Sinn haben, uicht die Thatsache zufälliger Homonymie, sondern die Reste eines allgemeinen Vorkommnisses aus der Zeit der allerältestcn Sprach­bildung, wo die Begriffe nur dnrch Vcrglcichung entstehen, nur im Gegensatz zu ihrem Gegensatz errungen werden konnten. Hell kann nur im Gegensatz zu dunkel überhaupt gedacht werden. Wenn es keine Unterschiede in der Lichtstärke gäbe, so wären hell und dunkel unbekannte Vorstellungen und Vokabeln. Bei dieser Rela­tivität der Begriffe enthielt das Wort für hell zugleich eine Erinncrnng au dunkel, oder vielmehr es bezeichnete ursprünglich nur das Verhältnis zwischen beiden, den Unterschied beider, also etwa: anders lichtstark. Erst später entstanden durch Disfe- rcnzirnng die getrennten Wörter für die getrennten Begriffe, aber Spuren des ur­sprünglichen Gegensinnes hnbcu sich iu allen Sprachen bis ans die neneste Zeit erhalten.

Diese Beobachtung ist nichts durchaus neues, aber sie wird hier zuerst syste­matisch dargelegt und für die Etymologie ausgebeutet. Sie ist auch an sich ganz einleuchtend, aber freilich weder in der Ausdehnung als erwiesen anzusehen, die ihr der Verfasser giebt, indem er allen UrWorten einen Gegensinn als notwendig vindizirt, noch in der praktischen Anwendung einwurfsfrei, die das angehängte Ver­zeichnis von Beispielen des Gegensinns bietet. Der Verfasser hat dabei der Be- dcutungscutwicklung nicht genügend Rechnung getragen. Es giebt, historisch nach­weisbar, genug Wörter, deren Sinn im Laufe der Zeit in ihr Gegenteil umgeschlagen ist, oder die neben ihrer ursprünglichen Bedeutung einen andre, fast entgegen­gesetzte entwickelt haben. Anch mit diesen erst spät abgeleiteten Bedeutungen operirt der Verfasser mehrfach. Es hat also im einzelnen noch eine sorgfältige Nachprü­fung einzutreten.

Die Flucht des Hirsches. Ein Gedicht von Christian Winther. Nach dem Dänischen von Wilhelm Honorö. Leipzig, Kcmnnissivnsverlag von Karl Fr. Fleischer, 1883.

DieseFlucht des Hirsches" ist ein Ritt ins alte romantische Land, voll märchenhafter Wunder, die man aber gern mit in den Kauf nimmt, da sie glücklich erfunden und in überaus anmutigen und farbenreichen Gemälden uns vorgeführt werden. Christian Winther (gest. 1876) ist entschieden ein hervorragender Lyriker und als solcher von seinen Landslcutcn auch voll anerkannt, in Deutschland aber, obgleich von seinem bedeutendsten Gedicht, dem vorliegenden, gleich nach seinem Erscheinen (1856) eiue Übersetzung (von Ryuo Quehl) herauskam, wenig gewürdigt, was vielleicht an jener uns nicht bekannt gewordenen Übersetzung gelegen hat. Leider ist auch die gegenwärtige nicht geeignet, den Zauber des Originals wiedcr- znspiegeln, da ihre Sprache steif und hölzern ist. Namentlich in der Wortstellung thut sich der Übersetzer zu viel Zwang an; obwohl das Versmaß das denkbar bcqnemste ist, kommt er aus den ungelenken Inversionen garnicht heraus. Auch Sprachfehler begegnen, wie:

Und ihnen wie zwei Kinder Der Tag verging in Scherz.

Gegen den Schluß wird die Behandlung etwas lebendiger und freier. Der Über­setzer hätte daher gnt gethan, wenn er, nach erlangter größerer Fertigkeit wieder rückwärts schreitend an den vordcrn Partien die Feile erneut angelegt hätte.

Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig. Verlag von F. L. Hcrvig in Leipzig. Drnck von Carl Marquart in Neuduitz-Leipzig.