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Der neue Merlin : Novelle :
(Fortsetzung.)
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Der neue Merlin.

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Schöne, soviel jünger als ich, schon so tiefgreisende Schicksale gehabt habe, ich vermochte mir eigentlich nichts dabei zu denken, da ich unter dem lebendigen Eindruck ihr Erscheinung stand. Ich dankte Gott, daß soviel Anmut und Schön­heit lebe und daß ihr Licht mir so warm ins Herz dringe! Mehr wußte ich und wollte ich nicht, und als ich gleichen Tages hinging, mir eine Gondel mietete nud vor dem Palazzo Parini auf- und abkrcuzte, lebte ich nur der Hoffnung, des süßen Gesichts auch außer der Kirche wieder ansichtig zu werden.

Mitten in meinen Träninen empfand ich dabei wiederum tief, wie allein, wie freudlos und aussichtslos ich in einer Welt stand, von deren Art und Wesen ich in meinem Winkel von Ragusa nichts erfahren hatte, und die mir unendlich größer und weiter dünkte, als sie war. Gott weiß es, an jenem Sonnentage, wo ich mich still vor dein Palazzo nm großen Kanal wiegte, wäre es mir als ein höchstes Glück erschienen, wen» Madonna Gabriella mir nur ein paar Fragen nach meinem Namen und meinem Schicksal vergönnt hätte. Ich brachte es je­doch nicht dazu, mich nur einen Blick zu erhäschen. Über dem breiten Balkon des Palazzo Parini wölbte sich ein türkisches Zeltdach, und Orangenbäume schlössen sich zn einer dichten, dunkcllanbigen Wand. Ich starrte umsonst empor nnd sah nichts als über den hohen Maueru ein Stück blauen Himmels. Und doch stand die Wolke, aus der Glück nnd Schmerz meines Lebens, unendliches Glück, uneudlicher Schmerz, wie Ihr großer Dichter sagt, Signor Fcderigo, herabfallen sollte, nur schon unsichtbar zu Häupten!

Ich crmachte am Morgen meines dritten Tages in Venedig früh geuug und trat zum drittenmalc den Weg nach San Giorgio dei Schiavoni an, das Herz schlug mir unruhiger als am Tage zuvor, und ich brachte es heute nicht über mich, die Kirche zu betreten, sondern ging auf den Stufen zwischen ihr und dem Kanal auf uud ab. Erst als ich die Gondel herangleiten sah, deren rote Sammetkisscn schon von fern leuchteten, fiel es mir ein, daß es der schönen jungen Dame peinlich sein könne, wenn ich ihr hier vor den Augen ihres Gon- dvliers nnd der nengierigen alten Bettler am Platz gegenübcrträte. Ich eilte sonach zu der Mcmnortafel mit dem Namen Angelo Constcmtini und wollte der ruhig heranschreitendeu Signora fest entgegcublicken. Ohne daß ich es wußte, war ich doch wieder in den Schatten des Pfeilers zurückgetreten. Aber diesmal schritt Gabriella Pariui nicht an mir vorüber, sondern blieb vor mir stehen und sagte mit einer ruhig ernsten Stimme: Wenn Sie eiue Hilfe von mir begehren, mein Herr, warnm sprechen Sie nicht? Ich stand erbleichend und wie vernichtet vor der schönen Frau. Ich hatte nicht geahnt, daß mein Auftreten oder gar mein Gesicht meine kümmerliche, wundersame Lage verriet, und noch weniger ahnte ich, daß es weibliche Klugheit sei, die in der einzigen Weise, in der sie sich nichts vergab, ihre plötzlich erwachte Teilnahme an meiner Person bethä­tigen wolle. Ich gab ihr zur Antwort, daß sich die edle Signora irre und ich keine Hilfe von ihr wolle, ich sei Felice Constcmtini von Ragusa uud aus so