350
Drei Antworten.
freulich. Der Verfasser wendet sich zwar zunächst ans einem eigennützigen Grnnde gegen das Ausleihen der Bücher: er möchte nicht sv oft in die Lage kommen, sich vergebens auf die Bibliothek bemühen und sich dort den Bescheid holen zu müssen, daß die von ihm gewünschten Bücher „verliehen" seien. Er hat aber dabei doch wesentlich auch das Interesse Üer Bibliotheken und damit indirekt auch wieder das des Publikums, nämlich des Publikums späterer Zeiten, im Auge, indem er darauf hinweist, in welcher unverhältnismäßigen Weise bei unserm gegenwärtigen Ausleihesystem die Abnutzung der Bücher beschleunigt wird-
Vielleicht interessirt es die Leser dieser Blätter, nun wirklich die Ansicht eines Bibliotheksbeamten über die angeregte Frage zu hören. Sollte dieselbe im wesentlichen bestätigend und zustimmend ausfallen, sv wird das hoffentlich keine Verwunderung erregen.
Zunächst möchte ich mit einer Berichtigung beginnen, einer Berichtigung freilich, die dem Verfasser nicht unwillkommeu sein wird. Er hält das Ausleihen der Bücher für „eine aus deu beschränkten kleinstaatlichcn und kleinstädtischen Zuständen der Vorzeit herrührende Sitte." Soweit ich die Geschichte unsrer öffentlichen Bibliotheken kenne, ist dies ein Irrtum. Die kleiustaatlichen und kleinstädtischen Zustünde der Vorzeit kannte« das allgemeine Ausleihen der Bücher durchaus nicht; dasselbe ist vielmehr einer der zahlreichen „Fortschritte," welche der moderne „Liberalismus," oder um den politischen t<zi'inmuL lieber durch den im Bibliotheksverkehr übliche» zu ersetzen, die moderne „Liberalität" gebracht hat. Es ist noch gar nicht so lange her, daß uusrc Biblivtheksverwaltungen so „liberal" geworden siud, ihre früher sorgfältig gehüteten nnd geschonten Schätze zur allgemeinen Benutzung und Abnutzung hinauszugeben. Die städtische Bibliothek z. B., die ich zu verwalten die Ehre habe, wurde in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durch eiu großartiges Legat eines Bürgers gestiftet, der, ohne direkte Leibeserben aus dem Lebeu scheidend, seine für die damalige Zeit äußerst reichhaltige und vielseitige Büchersammlung und dazu sein ganzes übriges Vermögen der Stadt vermachte. In seinem Testamente aber hatte er angeordnet, daß sein Vermögen „der studirenden Stadtjugend allhier innerhalb der Ringmauer zu Nutzen angelegt und verwendet," und daß für die Bibliothek „ein Bibliothekarius umb ein leidliches Salarium verordnet" werden möchte, der „der studireudeu Stadtjugend auf Begehren die Bücher vorlegen, jedoch nicht nach Hause folgen lassen" sollte. Ein paar Jahrzehnte später wurde mit dieser Stiftung die Ratsbibliothek vereinigt und für das Ganze uun ein besondres Gebäude errichtet. Das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch aber und noch bis in die dreißiger Jahre des unsrigen herein war es durchaus die Regel, daß die Bücher in der Bibliothek selbst benutzt wurden. Bibliothekar war stets ein Mitglied des Ratskollegiums; derjenige Beamte, der heute in selbständiger Stellung die Bibliothek verwaltet, war damals bloßer „Obscrvator." Wer ansnahmsweise ein Buch in seiner