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Österreichisches,
in meisterhaften Zügen geschildert, wie Diener und Klienten der Parteihäupter sich gegenseitig beschimpfen, dann raufen, und die Bürger glauben, einander ebenfalls die Köpfe einschlagen zu müssen, weil — ja warum? Als etwas andres sind auch die Feder- uud Zungengefcchte in den Vorzimmern der politischen Welt nicht anzusehen. Aber den Vorwand liesern doch immer die Herren; und wenn sie mit verächtlichen Worten der Balgerei ein Ende machen wollen, sehen sie sich plötzlich selbst mitten im Getümmel, und nicht nur Raufbolde wie Tybalt, sondern auch die Mercutios können dabei ums Lebeu kommen. Da sich nun im ernsten Moment die ruhige Erwägung stärker zu erweisen schien als die Leidenschaft, da die unvernünftigen nationalen Bestrebungen, Antipathien nnd Eifersüchteleien wenigstens bis zu einem gewisse» Grade öffentlich verleugnet wurden, war es wohl keine Unbescheidenheit, zu erwarten, daß die „Herren," die Parteiführer, in Zukuuft selbst etwas bedächtiger sein und ihr Gefolge und Gesinde besser im Zaum halten würden.
Eitle Hoffnung! Die feierlichen Beteuerungen waren kaum verhallt, als sofort wieder der blödeste Deutschenhaß abermals znm Worte kam. Und da Herr Rieger, das anerkannte Haupt der Tschechen, sich beeilte, seinen Lcmds- leuteu in Schlesien ihre deutschen Mitbürger als „Fremde" zu denunziren, da der Direktor der Prager „höheren böhmischen Töchterschule" in einer Sitzung des Abgeordnetenhauses die Deutschösterreicher beschuldigte, „im äußersten Notfalle mit Hilfe des mächtigen deutschen Reiches ihre nationale Herrschaft behaupten zu wollen, selbst wenn darüber Österreichs Großmachtstellung und endlich Österreich selbst zu Grunde gehen sollte," da der Primas von Ungarn, Kardinal Simor, sich nach seiner Heimkehr aus Rom verpflichtet gefühlt hat, den „Kulturkampf" in einem Hirtenbriefe von seinem Standpunkt aus zu beleuchten, da das einflußreichste (bezeichnend genug in deutscher Sprache, wenn auch frei von deutscher Gesinnung geschriebene) Blatt Ungarns, der Pester Lloyd, sich die Schmach anthut, den Wortbruch des Generals Thibaudin auf eine Linie zu stellen mit dem Übergang der sächsischen Regimenter bei Leipzig und — man höre! — mit Aorks Konvention von Tauroggen: da solche Dinge wieder alltäglich geworden sind, so ist man leider gezwungen, die eingangs erwähnte Episode ganz anders zu betrachten. Nicht der Patriotismus, nicht der politische Verstand haben die sympathischen Äußerungen für Deutschland eingegeben; vielmehr fanden die Herren sich in der Lage ertappter Schulbuben und benahmen sich auch so. Sie hätten die Fenster eingeworfen? Beileibe, das thun ja so wohlerzogene Knaben niemals, und am wenigsten bei einem guten Freund und Nachbarn. Aber kaum glauben sie sich unbeobachtet, so werden die Steine wieder aus der Tasche hervorgeholt. Wir können nicht untersuchen, wo in dem Vergleiche des Pester Lloyd die Frechheit aufhört und die Unzurechnungsfähigkeit beginnt, unverkennbar ist nur, daß das edle Blatt bei seinen Lesern die entsprechenden Gesinnungen voraussetzt, wie sie jener Prager Mädchenschuldirektor