Entstehungsgeschichte und Stil des Lgmont.
367
festzuhalten und, bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzuleukeu. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam!" Dem widerspricht es nicht, daß Goethe diese Worte, welche auch der rhythmische Ton nach Weimar verweist, an den Schluß von „Dichtung und Wahrheit," also scheinbar iu die Frankfurter Zeit, gesetzt hat; denn er folgt hierbei dem küustlerischeu Drauge, das Leben in die Dichtung auslaufen zu lassen und den Leser damit gleichsam auf eine Fortsetzung seiner Lebensbekenntnisse zu verweisen; wie er ja in einem spätern Zusatz der italienischen Reise auch seinen Schmerz um den Verlust Italiens in die Qnaleu des Tasso cmskliugeu läßt.
Ein untrügliches Kennzeichen aber ist der Rhythmus. Iu der Weimn- rischeu Zeit stellt sich wiederholt in Goethes prosaischen Dichtnngen, selbst in den Maskenzügen, weder gesucht noch gemieden, der iambische Rhythmus ein. Die Jphigenie, die zwei erste» Akte des Tasso, den Elpenor hat er um diese Zeit iu rhythmischer Prosa geschrieben; auch die Proserpina hat er erst später in Verse abgeteilt, nnd selbst in den Maskenzüge» findet man iambische Verse eingcstrent. Man lese nur die Prosa der besprochenen Szene wie folgt:
Ich stehe hoch und kann und muß noch höher steigen;
ich fühle
mir Hoffnung, Muth und Kraft. Noch hab'
ich meines Wachsthums Gipfel nicht erreicht.
Und steh' ich droben einst, so will ich fest,
Nicht ängstlich stehen. Soll ich fallen,
So mag ein Dmmerschlag, ein Sturmwind, ja,
Ein selbstverfehlter Schritt mich abwärts (in die Tiefe) stürzen.
Und dazu vergleiche mau inhaltlich das bekannte: „Sehe jeder wie ers treibe, sehe jeder wo er bleibe und wer steht, daß er nicht falle." Dagegen verlassen uns iu der folgenden Szene zwischen Egmvnt und Oranien alle Anhaltepunkte: einzelne iambische Anklänge können leicht auch einer spätern Umarbeitung angehöre», und nur etwa der politische Inhalt, welcher Schulung in Stnntsge- schcifte» voraussetzt, spricht für die Weimarer Zeit.
Währelid die Szene zwischen Margarete und Macchiavell ganz im Stile der Frankfurter Zeit gehalten ist und nirgends iambischen Rhythmus aufweist, stellt nns die folgende Szene zwischen Klärchen und Egmvnt ein schwierigeres Problem. Der kritische Herausgeber von „Dichtung und Wahrheit" meint, Goethe habe in der Darstellung des Verhältnisses zwischen Egmont und einem ihm nnd seiner Größe (ein unglückliches Wort!) ganz hingegebenen Mädchen aus dem Volke ein Gegenbild zu seinem eignen abgebrochenen mit Lilli sich schaffen wollen; hier sollte alles vorhanden sein, was er vermißt, alles beseitigt, was ihn gequält habe. Auch auf Modelle hat von Loeper hingewiesen: etwa die Christel, auf welche Goethe das Gedicht „Hab' oft einen dumpfen, düstern Sinn" gedichtet hat; oder das Offeubacher Mädchen, zu welchem Goethe mit