Entstehungsgeschichte und Stil des Egmont,
von I. Minor.
ie Geschichte des Egmont grenzt stofflich nahe an den Götz, und es ist wohl möglich, daß Goethe bei Gelegenheit seiner Quellenstudien zum Götz auch der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande seine Aufmerksamkeit zugewandt hat. Ans Niederschreiben ging er jedoch erst im Herbst 1776, um die fürchterliche Lücke auszufüllen, welche ihn von Lilli trennte. Doch schrieb er das Stück nicht, wie den ersten Götz, in einem Zuge, in Reih und Folge nieder; sondern, wie in „Dichtung und Wahrheit" erzählt wird, griff er „nach der ersten Einleitung sogleich die Hauptszcuc au, ohne sich um die allenfalsigen Verbindungen zu kümmern." Sein Vater, der das so leicht entstehende auch leicht vollendet zu sehen glanbte, spornte ihn Tag nnd Nacht zur Arbeit. In der Unruhe, mit welcher er der Ankunft des Wagens entgegensah, der ihn nach Weimar bringen sollte, aber unverhältnismäßig lange ausblieb, schrieb er an dem Stücke weiter nnd brachte es — dank dem Beifall des Vaters, der das Stück vollendet und gedruckt zu sehen wünschte, weil er hoffte, daß der gute Ruf seines Sohnes dadurch vermehrt werden würde — beinahe zu Ende, Aber die Unruhe, welche dem Stücke anfangs zu Gute gekommen war und den Dichter warm gehalten hatte, vermehrte sich und hinderte zuletzt die Arbeit, sodaß das Schauspiel, noch ehe Goethe nach Weimar ging, liegen blieb.
Diese äußern Daten geben uns in der That einige Anhaltepunkte über die noch in Frankfurt vollendeten Teile des Gedichts. Da Goethe sagt, er habe das Stück beinahe zustande gebracht, so dürfen wir wohl annehmen, daß es bis in den vierten Akt, aber nicht fortlaufend, geschrieben war. Dieser Akt enthält ja auch die Hauptszene (zwischen Egmont und Alba), welche er sogleich nach der Einleitung in Angriff nahm; und unter dem Namen der ersten Szene wird das Stück bereits im Gothaischen Theaterkalender ans 1777 u, f. erwähnt, wo es „Das Vogelschießen von Brüssel" oder „Die Vogelwiese" genannt wird. Aus der zweite» Szene zitirt Goethe an Frau von Stein (Januar 1776): „Geht mir auch wie Margreten v, Parma: Ich sehe viel voraus, das ich nicht ändern kann."
Als Goethe den Egmont im Dezember 1778 wieder in Angriff nahm, wandte er sich zunächst den Lücken zu, welche er in der Verbindung der Szenen gelassen hatte. Er schrieb laut seinem Tagebuchc am 5, Dezember 1778 die Szene zwischen Alba nnd seinem Sohne, am 13, früh den Monolog Albas. Dann aber bleibt er, wie das erstemal und mich späterhin, im vierten Akte
Grmzbotcn I, 1883. ^