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und peinlich mit ihnen in Verbindung gebracht werden müssen? Gesetzt also nochmals, der Interpret hätte mit seiner Erklärung Recht, so würde das nicht hindern, zunächst zu fragen, ob diese aus den dramatischen Begebnissen erhellt und ob diese letzteren selbst sinnvoll und znsammenhiingend sind? Und darauf giebt es mir die Antwort: Nein. Von dem ersten Punkte hat man nicht nötig noch zu reden, und hinsichtlich des zweiten fällt sich Boas, wenn er das „Winter- märchcn" ohue seine symbolische Deutung als ein mit vielfachen argen Mängeln behaftetes Werk hinstellt, selbst das Urteil. Ich möchte dem Autor darin nicht überall folgen, aber wahr ist es doch, daß, mag man von den unvergleichlichen Schönheiten der Dichtung bis ins tiefste Herz getroffen werden, dieselbe doch als dramatisches Ganze nicht zu halten ist und daß u. a. die Raserei und die plötzliche Umkehr des Leontes ebenso wie die lange Wartezeit, die Hermione bis zu ihrer Statuenkomödie verstreichen läßt, dramatisch unerträglich sind. Daran bessert auch die Boassche Interpretation nicht ein Jota; oder vielmehr, ein Drama, dessen dramatische Unmöglichkeiten erst durch diese außerhalb des Dramatischen liegende Erklärung eine» gewissen Sinn bekommen, ist und bleibt eben eine Unzulänglichkeit, seine dichterischen Details mögen so entzückend schön sein wie die des „Wintermürchens" in der wunderbaren Gerichtsszcne und dem ganzen herrlichen Schäferakt. Wohin sollte es schließlich führen, wenn der Poet die Sanktion erhielte, uns ein dramatisches Rätsel aufzugeben, um uns, nachdem wir den Kopf darüber geschüttelt, einen Zettel in die Hand zn drücken, der uns beweist, daß dasselbe zwar als Drama widersinnig, aber doch von cmderm Gesichtspunkte betrachtet sehr tiefsinnig sei? Würde nicht die Mittelmäßigkeit, die ohnehin mit den dramatischen und theatralischen Geboten nicht aus noch ein weiß, dabei außer Rand und Band geraten nnd eine talentlose Nomantik in Permanenz erklärt werden?
Wie ganz anders steht es in dieser Beziehung mit dem „Sturm," dessen Charakter als konsequentes Einheitendrama (das einzige bei Shakespeare) der Verfasser mit Recht im Gegensatz zu dein zwanglos kompvnirten „Wintermärchen" betont! Welch ein Meisterwerk ist hier geschaffen, wie schließt sich Glied an Glied zum vollkommenen Wunderring, wie ergötzt, ergreift und beseligt uns das Leben und Weben auf diesem Zanbereiland, wie erschließen sich lichtvoll in diesem phantastischen Treiben die tiefste» psychologischen und sittlichen Wahrheiten, und wie in sich ganz nnd rund ist das Werk, wie thut es uns als Kunstwerk so volles Genüge! Ist es darnm aber nicht sehr bezeichnend für die künstlerische Gleichgiltigkeit der außer- oder überdramatischen Deutungssucht, daß wir es geuießeu, ohne von dieser etwas zu wisse» oder sie herbeizuwünschen? Ist Prospero der Künstler, Miranda das Kunstwerk, Ferdinand der Kuustjünger oder das Publikum, so mag das ja nebenbei eine ganz hübsche Spekulation und die Auslcguug vielleicht auch möglich sein; aber das kümmert keinen, der künstlerisch empfinden und getroffen werden will. Auch möge es der Ver-