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Die letzten Reichstagsreden des Kanzlers.
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Die letzten Reichstagsrcdcn des Äcmzlers,

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Weder die deutsche noch die preußische Verfassung kennt ein Parlamentarisches System, wie es dem Vorredner vorschwebt. Die preußische behandelt die drei Factoren der Gesetzgebung, den König (nicht die Regierung) und die beiden Häuser des Landtags, auf gleichem Fuße, die deutsche giebt dem Kaiser, nicht der Reichsregierung, bestimmte Rechte. Die Politik, die im Reiche getrieben wird, ist zwar vom Reichskanzler zu verantworten, aber Politik des Kaisers. Das Princip der Fortschrittspartei ist insofern nicht monarchisch, als es das Wort zur Grundlage hat, welches die englische Aristokratie nach der Revolution znr Befestigung ihrer Herrschaft aussprach:Der König kaun nicht Unrecht thun." Damit war derselbe mundtodt gemacht, ohnmächtig und obsolet. Das war, vom Standpunkte des englischen Adels gesehen, eine weise Einrichtung, indem er sich aus diese Weise zwischen Kroue und Volk schob, deren Beziehungen nun allein durch ihn vermittelt werden konnten. In England konnte sich diese Tradition entwickeln, bei uns nicht, da wir für das Reich wie für die Einzel­staaten geschriebene Verfassungen haben, welche die Rechte des Souveräns klar und genau dcfinircn. Darnach ist der Standpunkt falsch, nach welchem der König von Preußen nicht direct zu seinem Volke, der Kaiser nicht zur Nation sprechen kann. Daß der Reichskanzler dafür mit seiner Nameusuuterschrift die Verantwortung übernimmt, daß er bereit ist, die Meinung, die der Kaiser ans- spricht, zn vertreten, ändert nichts an der Thatsache, daß dies die verfassungs­mäßig berechtigte Aeußerung des Kaisers ist. Der letztere hat eine viel freiere Verfügung als der Kanzler, der ohne die kaiserliche Genehmigung keinen Schritt thun und der, wenn er eigne Politik triebe oder die des Kaisers nicht mit seiner Unterschrift versehen wollte, sofort entlassen werden könnte.Ich vertrete die kaiserliche Politik," fuhr der Reichskanzler fort,und so coustatire ich hier meine Ueberzeugung: es wird Ihnen nicht gelingen, dem Kaiser Wilhelm im deutsche,: Reiche zu verbiete», daß er zu seinem Volke spricht. Den Kaiser Wilhelm nach zwanzig Jahren unsrer Geschichte mundtodt zn machen, ist ein vergebliches Be­ginnen. Wie wollen Sie dem Manne, der auf seine Verantwortung die große Politik gemacht hat, die Möglichkeit abschneiden, eine eigne Ueberzeugung zu haben, und wenn er sie hat, sie anszusprechen? . . . Der Vorredner sagt, der Monarch ist der seste Punkt. Ich diene dem Monarchen, dem sesteu Punkte. Noch heute ist die Basis meiner Politik in dem Princip der cmgebornen Unter­thanen- und Vasallentreue und der Dicnstbereitschaft gegeben, die mich vor zwanzig Jahren bewogen, alle übrigen Rücksichten beiseite zu lassen und mich dem Könige zu Diensten zu stellen. Ich hoffe nicht, daß diese Gesinnung mit mir ausstirbt, aber so lange ich lebe, wird es einen Royalisten und einen sichern Diener des Königs geben."

Der oben angedeutete Redner hatte sich gegen die Behauptung verwahrt, daß die Fortschrittspartei nnd die nach ihrem Standpunkte hingleitenden Fmctionen endlich bei der Republik aulnugcn müßten. Der Reichskanzler wies, indem er diese Be-