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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben : 2. Eine offene Frage.
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Sommorma'rchen.

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meine, ohne etwas von ihm zu wollen, das war ihm völlig neu, so neu, daß er für solche Erfahrung in seiucr gemeincu Seele gar keinen Raum hatte. Er wollte ihr auch keinen Raum geben und versteckte sich hinter mürrischein Trotze und schnödem Undankc. Aber auf die Dauer hielt er das nicht aus; er wurde weich und fing au, wunderlich barocke Reden über sich und seine Vergangenheit zu führen, aus deueu sich mit steigender Klarheit das Urtheil herausschälte, daß er ein großer Esel gewesen sei.

Eiu merkwürdiger Mensch! Je schlechter es ihm bei fortschreitender Krank­heit giug, desto zufriedner wurde er, und wenn der bewußte Strohhut seines Fräu­leins ans der Stuhllehne hing, hatte er keinen Wunsch ans der Welt mehr. Einige Wochen darauf war er todt; seine letzten Worte waren ein Gruß an seineu alten Schaufnß gewesen, und er möchte esnicht für ungut" nehmen.

Mein Freund Schanfuß aber war von diesem Ende der Geschichte höchst be­friedigt und zählte von nuu an weibliche Mildthätigkeit zu dcu soeialen Factoren, Mir aber blieb doch eine offne Frage: Soll man den Menschen erst halb todt schlagen lassen und dann den barmherzigen Samariter spielen, oder ist es nicht besser, den gefährlichen Wüstcnwcg von Jerusalem nach Jericho lieber gar nicht zn gehen?

I?, L.,

-ul liswrs,m clvlinokvit ^m,v 1881.

^ommermärchen.

»dolf Baumbach, der sich in den letzten Jahren durch feine Ge­dichte, namentlich durch zwei BündchenLieder eines fahrende» Gesellen", rasch die Gunst des Publieums errungen hat auf dem Gebiete der lyrischen Pvesie heutzutage ein beinahe einzig dastehender Fall, hat soeben einen Band funkelnagelneuer Märchen in Prosa veröffentlicht.^) Der Schritt von jenen Liedern zu diesen Märchen ist kleiner, als er auf den ersten Blick erscheint. Der Autor hätte sie ohne seinen Namen herausgeben können, man würde ihn doch sofort wiederer­kannt haben. Wie unter seinen Liedern einzelne wie die vomJunker Leicht­sinn" und vonFrau Holde," wenn der Reim wegfiele, sofort unter den vor­liegenden Märchen Platz finden könnten, so bedürften einzelne von den Märchen >>»r des Reims, um unter dieLieder des fahrenden Gesellen" aufgenommen zu werden.

Geschichten von durchgeführt märchenhaftem Charakter müssen schon sehr geist- >»>d humorvoll ersonnen sein, wenn sie Wirkung thnn und nicht läppisch erscheinen

*) Svmmcrmiirchcn von Rudvlf Baumbach. Leipzig, A. G. Liebcskmd, 1881.