Gambetta und kein Lnde.
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besitzt er, auch jetzt, nach seiner Niederlage noch, und er wird sie sich, wenn nicht alles täuscht, mit dein Apparat, den er sich geschaffen, bei seinen Lands- lentcn, die nun einmal in ihrer Mehrzahl auf Schein, Phrase und Pose viel geben, zu bewahren wissen. Er wird auch ohne das Listenserntinium seinen bisherigen Weg fortsetzen können; denn Frankreich neigt nun einmal der Dictatur zu, es muß einen Herrn haben, nnd das, was man öffentliche Meinung nennt, hat sich Gambetta dazu erlesen, natürlich nicht mit dein Bewußtsein, daß es sich in ihm einen Gebieter zu geben im Begriffe steht, darum aber uicht weniger entschieden. Die gegenwärtigen Vorgänge in Frankreich sind darum so lehrreich, weil sie erkennen lassen, daß die Alleinherrschaft sich auch mit der republikanischen Staatsform verträgt. Selbst in England war dies unter Cromwell der Fall, wie viel mehr ist es in Frankreich möglich! Man darf annehme», daß Gambetta es ganz ernsthaft meinte, als er die Zöglinge des Lhceums in Cahors pathetisch zum Schwur auf die Republik aufforderte. Er will sie gewiß nicht stürzen. Wie sollte er auch? Er dankt ihr ja, daß er aus einen: kleinen Advo- eatcn und Kammervppositionsmann ein Großer in Israel geworden ist, ein Mann, aus den aller Augen blicken, der eine noch glänzendere Zukunft vor sich offen sieht. Er wird die Republik nicht umstoßen, wohl aber wird er sie sich handlicher machen, sie sich mit Hilfe seiner Freunde mehr auf den Leib zuschneiden, die Wahlen, den Senat und andres nicht Bequeme umgestalten, was die jetzige Verfassung enthält, nnd er wird das auf ganz gesetzmüßigem Wege fertig bringen und dann vermuthlich die Periode hindurch, welche in Frankreich eine neue Staatsform zu dauern pflegt, d. h. achtzehn bis neunzehn Jahre, ziemlich unangefochten als Präsident herrschen. Wir Werdens ihm und den Franzosen gönnen. Nur muß er dabei mit uns und den uns befreundeten Nachbarn Frieden halten, und wir glauben, er wird auch das können. Denn auch dariu zeigt er seine Gewalt über die Gemüther, daß er sie nach Belieben aufregen und beschwichtigen kann, daß er mit gleicher Virtuosität die Kriegsposaune und die Fricdeusschalmei zu blasen versteht. Die Friedensrede in Cahors ist zweifelsohne mit derselben Begeisterung aufgenommen worden wie vor einigen Jahren die Phrasen von den nationalen Hoffnungen und von der Gerechtigkeit der Geschichte.
Uebrigcns glauben wir, daß jene Rede ungefähr ebenso ernstgemeint war wie sein republikanisches Credo. Mau schreibt ihm die Absicht zu, den Franzosen die ersehnte Rache an Deutschland zu verschaffen, und wir nehmen das selbst an, aber gewiß denkt er nicht daran, jetzt schon mit dem Kriegsfcuer zu spielen; denn er ist zu praktisch, um nicht zu wissen, daß er sich dabei dreifach die Finger verbrennen würde. Dreifach; denn die ungeheure Mehrzahl der Franzosen will Frieden, wenn ferner Frankreich das Wort Krieg nur flüsterte, wäre es in Europa augenblicklich gänzlich isolirt, drittens endlich hat man sich neuerdings in Italien einen erbitterten Gegner geschaffen, der gewiß uicht verfehle» würde, bei solcher Gelegenheit Revanche für Tunis zu nehmen.
Grmzboten III. 1S31. 2