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Goethe und Gustchen Stolberg.
halten wurde. Ein Paar kurze, unbedeutende Billets fallen noch in den Juli 1777 und in den März 1778,; in dem letzten tritt plötzlich statt des wohl mehr dichterisch genialen als wirklich herzlich vertrauten „Du", das seit dem März 1775 das anfängliche „Sie" verdrängt hatte, und mit dem Goethe in der Regel schnell bei der Hand war, wieder die frühere formelle Anrede ein. Dann folgt eine Pause von über zwei Jahren. Im Juni 1780 betrachtet er den Faden bereits für abgerissen, denn er schreibt: „Lange hab ich mir vorgesetzt Ihnen etwas zu schicken und zu sagen, es ist aber kein stockigerer Mensch in der Welt als ich wenn ich einmal ins stocken gerathe. Grüsen Sie die Brüder, schreiben mir wieder einmal von sich, und knüpfen Sie wenn Sie mögen den alten Faden wieder an, es ist ia dies sonst ein weiblich Geschäfft." Das letzte Lebenszeichen, das er ihr giebt — er schreibt ihr von einem Portefeuille, das er auf Atlas für sie habe malen wollen, das aber mißlungen sei — stammt vom 4. März 1782. „Gewesen Sie des Lebens" — das ist das Abschiedswort, das er ihr zuruft.
Der Wunsch, den Goethe in den Briefen des Jahres 1775 wiederholt ausgesprochen, Gustchen in seinem Leben einmal persönlich zu begegnen, ging nicht in Erfüllung. Nach dem Tode ihrer ältern Schwester Henriette reichte sie am 8. August 1783 dem verwitweten Schwager, dem dänischen Minister Grafen Andreas Peter Bernstorff, die Hand zum Ehebunde. Als sie diesen am 21. Juni 1797 durch den Tod verlor, lebte sie still und zurückgezogen, liebevoll sorgend für ihre Kinder und Geschwister.
Binzer hat schon 1839 einen höchst anziehenden Brief mitgetheilt, den seine Frau im Mai 1830 nach einem Abend, den sie in der Nähe von Kiel auf dem Lande bei der Gräfin zugebracht hatte, an ihn geschrieben, und der in der neuen Ausgabe mit Recht wieder abgedruckt ist. Folgendes sind die Hanptstellen daraus. „Sie hat mir immer etwas Rührendes, diese Frau, mit ihren kurzgeschnittenen, silberweißen Löckchen, die noch in großer Fülle aus der eingekniffenen fleckenlosen Haube hervorquellen und ohne Scheitel ihre ganze Stirn umgeben. . . . Die alte Gräfin ist zwar klein, aber doch so würdevoll und edel. Auch gefällt mir das Wesen solcher tieffrommen Frauen, die kindlich Alles glauben, was andern nicht immer so fest in der Seele steht; die so sicher sind, daß ihre Gebeine am jüngsten Tage auferstehen werden, wie die Blumen im Frühling; denen eine Predigt von Harms wie ein Tropfen Manna in der Wüste ist; die sich alle die kleinen Sünden und Leichtfertigkeiteil, mit denen wir Weltkinder ein Abfinden versuchen, streng vom Leibe halten; für die es nur ein Gut oder Schlimm, nur ein Fromm oder Gottlos gibt, wie für die Kinder, und die alle die kleinen Nuancen, in denen wir das eine thun, das andere nicht lassen wollen, unbedingt verpöhnen. Dennoch sind solche Frauen milde,