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Herr Virchow vor Jahren ,— wir wissen nicht, ob noch heute — auch die Besetzung der wissenschaftlichen Lehrstühle übergeben wollte. Dies beiläufig. Nun aber die andern Unterzeichner. Da sind Namen, die auf dem Felde der Geschichte und der Literatur einen bekannten Klang haben. Diese Namen stehen unter einer Erklärung, welche die heute bei uns geltenden Bestimmungen über die Bedingungen der staatsbürgerlichen Rechte als über jeden Gedanken einer Reform erhaben, als geschützt durch das Vermächtniß Lessings hinstellt, welche jedes solche Bestreben als Seuche, als Wahn u. s. w. bezeichnet. Hat das Vermächtniß Lessings wirklich etwas mit dem Artikel 12 unsrer preußischen Verfassung zu thun? Die Namen der Männer unter der Erklärung wollen es verbürgen. Nun von diesen Herren, die zum Theil stolze und strenge Examinatoren sein sollen, dürfte keiner des Culturexamen bestehen, das man in drei Fächern, worunter sich die Literatur befindet, den protestantischen und katholischen Theologen auferlegt hat. Aus dem „Evangelium der Toleranz", wie es Lessings „Nathan" lehrt, sollen die staatsrechtlichen Sätze des Liberalismus über die Gleichberechtigung der Konfessionen folgen. Mögen die Herren Unterzeichner, um den „Nathan" zu begreifen, den sie nicht gelesen oder nicht verstanden haben, aus eine andere Stelle Lessings aufmerksam gemacht sein. Im Jahre 1769 wollten aufgeklärte Prediger in Hamburg das Kirchengebet nicht mehr lesen, welches am Bußtage die Worte aus dem 79. Psalm enthielt: „Schütte deinen Grimm auf die Heiden nnd auf die Königreiche, die deinen Namen nicht anrufen." Darüber beklagte sich der Pastor Goeze, der später durch Lessings Gegnerschaft so berühmt geworden, und Lessing — stand auf Goezes Seite. Er entwarf eine Predigt über die Psalmstelle und über das neutestamentliche Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst." Leider kennen wir diese Predigt nur aus einer Schilderung von Nicolai, welche zeigt, wie der alte Aufklärer davon begeistert war. Er giebt aus der Erinnerung einige Stellen einer Erzählung wieder, die Lessing der Predigt als Anlaß vorausgeschickt hatte. Das kostbare Bruchstück zeigt, wie Lessing den Oberst Shandy mit seinem Trim spazierend einführt, wie sie einem armen französischen Soldaten begegnen, den der Oberst beschenkt, Trim aber l^rsnod ÄvA nennt. Der Oberst thut alles, um Trim die Mitleidswürdigkeit des Soldaten zu zeigen, aber Trim bleibt bei treuen ckoK. Der Oberst erzählt den Vorfall Jorik, und Jorik sagt: „Es ist klar, Trim haßt die ganze Nation, welche seinem Vaterlande feindselig ist; aber er kann jedes Individuum aus derselben lieben, wenn es Liebe verdient." „Dies gab Gelegenheit, setzt Lessing hinzu, daß Jorik die folgende Predigt hielt." Darnach ist es offenbar, daß die Predigt den Gedanken ausgeführt hat: Es ist die Pflicht jeder tüchtigen Nation, eine ihr feindselige Organisation zu zerstören unter thunlichster Schonung, ja unter Liebe gegen die Individuen. Es ist das