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freilich einen etwas disparaten Charakter erhalten. Schiller hat den Unterschied zwischen beiden Gedankenreihen sehr fein und wirksam durch ein wechselndes Metrum markiert, durch ein schnelleres Trochäentempo in den Meisterversen uud durch eine getragene, beinahe feierliche Jambenmelodie in den Betrachtungen über den Lauf des Menschenlebens. Der Künstler hat leider auf diese feine Unterscheidung verzichtet und eine bunte Reihe geschaffen, aus der einer, der Anfällig das Gedicht nicht kennt, sich absolut nicht vernehmen kann. Sieht man von diesem Mangel ab, so wird man den meisten Blättern eine wohlabgerundete Composition, Leben, Wahrheit und auch Empfindung, die allerdings nicht sehr tief herauskommt, nicht absprechen können. Mit großem Geschick hat der Künstler bisweilen eine gelegentliche Wendung des Dichters aufgefaßt und zu einem Genrebilde ausgesponnen, wie z. B. die Verse:
Und das junge Volk der Schnitter Fliegt zum Tanz
zu einem ländlichen Sittengemälde im Stile Defreggers.
An der Faustillustration sowohl als an der des Schillerschen Gedichts hat Rudolf Seitz, auch ein Schüler Pilotys, insofern einen hervorragenden Antheil gehabt, als er für das Prachtwerk Initialen, Randverzierungen, Vignetten und sonstige Ornamente gezeichnet hat. Seilte eigenthümliche Begabung zeigt sich von ihrer günstigsten Seite, wenn er seinen Compositionen einen humoristischen Anflug verleihen darf. Seine Erstlingsarbeit, „Peter Bischer zeigt den Bestellern das vollendete Sebaldnsgrab", war von solch einem humoristischen Zuge leicht durchwoben. In den Zeichnungen, die er für den „Fällst" geliefert, tritt dieses Element wieder in den Hintergrund, um dann desto schrankenloser in den Umrahmungen hervorzubrechen, welche er für Liezen-Mayers Compositionen zur „Glocke" und für die Einfassung des Textes mit einem erstaunlichen Erfindungstalent und einer ungemein lebhaften, ans Kühne streifende» Phantasie entworfen hat. Die Einfassungen der Liezen-Mayerschen Bilder sollen gleichsam die Stellen von Gemälderahmen vertreten. Ueber diese Voraussetzung, die schon an und für sich verkehrt ist, muß man hinwegsehen. Verkehrt ist sie deshalb, weil kein Mensch in einem Buche eingerahmte Bilder sucht. Die wollen wir uns für die Wändeaufsparen. Bei der Wahl eines Stils für dieses Rcchmen- werk ging Seitz von dem gewiß ganz richtigen Gedanken aus, die Ornamentik zu wählen, welche zur Zeit, als das Gedicht entstand, noch die herrschende war. Er hat jedoch die schon mit zopfigen Elementen stark durchsetzte Rococoornamentik zu einem so betäubenden Fortissimo gesteigert, daß zwischen den schlicht realistischen Darstellungen Liezen-Mayers und dem überwuchernden Muschel-, Blumen- und Rankenwerk mit seinen unzähligen emblematischen Verzierungen die denkbar schrillste Disharmonie entsteht. Die Embleme, welche sich überall in den Um-