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man «ach Kriegsrecht verfügte, inniger zu verbinden und dadurch zu stärke», beschloß, mau ihnen verfassnngsmüßige Freiheit zu verleihen. Der Londoner Traetat vom 20. Juui 1814 setzte fest, daß allen Culten gleicher Schutz gewährt sein sollte, daß die belgischen Provinzen in der Versammlung der Geueral- staaten passeud vertreten, und daß die Bewohner der Niederlande eonstitntionell mit einander verbunden werden sollten.
Der Weg, den König Wilhelm I. einzuschlagen hatte, war ihm hiermit, sowie durch die Verhältnisse deutlich vorgezeichnet. Er mußte beide Theile seines Reiches auf gleichem Fuße behandeln oder, wenn er einen bevorzugen wollte, so mußten es die Belgier sein, die an Zahl fast doppelt so stark als die Holländer waren, und denen er ein fremder Fürst war. Er mußte ferner die Gerechtsame der Katholiken, soweit möglich, achten, zumal sie iu seinem Lande die weitüberwiegende Mehrheit bildeten. Wollte er endlich die Gesetze und Einrichtungen beider Gebiete verschmelzen, so mußte er immer den besten den Vorzug gebeu. Er aber that von dem allem ungefähr das Gegentheil. Er konnte seine Herkunft nicht vergessen, er blieb auf dem Throne Holländer, das Königreich der Niederlande war ihm nichts anderes als die alte Republik der vereinigten Provinzen, in eine Monarchie verwandelt und mit einer Gebietsvergrößerung dotirt. Er bevorzugte nicht die Belgier, sondern seine Holländer, er ließ bei seinen Beziehungen zur katholischen Kirche den Protestanten schroffer, als die Billigkeit uud die Vorsicht erlaubten, hervortreten, er strebte nach einem Einklang der Gesetze, der die Macht der Regierung auf Kosten der Volksfreiheit vermehrte, und er war außerdem ein König, der in Geldsachen seinen Vortheil über den des Landes stellte. Gleich der Anfang seiner Regierung war kein glücklicher. Er legte den Nvtabeln der nördlichen und südlichen Provinzen den Entwurf zu eiuem Grundgesetze vor, das im Norden bereits galt. Darnach waren die Schulden Hollands auch belgische Schulden, von voller Cultusfreiheit, von Verantwortlichkeit der Minister, von Unabsetzbarst der Richter war nicht die Rede, die ordentlichen Abgaben mußten immer ans zehn Jahre, nnr die außerordentlichen sollten auf ein Jahr bewilligt werden, die Belgier verloren ihre Ge- schwornengerichte und ihr Unterrichtssystem. Die belgischen Notabeln erklärten sich gegen dieses Grundgesetz, der König aber verkündete dasselbe durch eine Proelamation vom 24. August 1815 als von ihnen angenommen.
So ging es weiter. Die holländische Suprematie wurde für die Belgier immer fühlbarer, das Bestreben, die Individualität der letztereu zu verwischen, immer drückender. Man schloß die katholischen Schulen, man machte die Kenntniß der holländischen Sprache für die französisch oder wallonisch redenden Belgier zur Hauptbediugung bei der Bewerbung um ein Staatsamt, man führte in Belgien, wo viel mehr Fleisch- und Brotstoffe verzehrt wurden als in Holland,