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Beiträge zur Beurtheilung der Judenfrage : 8. (Schluß.) Die deutschen Juden in der Gegenwart, und was nun?
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Geltung, ein krankhaftes Verlangen nach Hinwegräumung aller Scheidewände zwischen ihnen und ihren christlichen Mitbürgern, das ihrer naturgemäß fortschreitenden Ent­wicklung schaden mußte. Geistesbildung wurde nicht mehr nach dein inneren Werthe geschätzt, den ihre Aneignung verlieh, sondern nach dem äußeren Erfolge, den ihr Besitz verschaffte. Gebildet scheinen und für gebildet gelten, wurde zum Gegenstand des all­gemeinen Ehrgeizes. Der Erfolg, den man erstrebte, war kein anderer als die Auf­nahme in die christliche Gesellschaft. Das Mittel aber, durch das man dazu zu ge­langen hoffte,- war vornehmlich in der Lösung von allen den Formen zu finden, die bisher den Juden vom Christen unterschieden und getrennt hatten. Man meinte den Juden zunächst äußerlich abstreifen und diese Entäußerung vor der Öffentlichkeit documentiren (z. B., wie wir nach heutiger Erfahrung hinzufügen, die Synagoge meiden, den Sabbath nicht halten, lächerliche Anecdoten von seinen Stammgenossen in deutscher Gesellschaft erzählen, beim Kellner möglichst laut Schinken oder Hasen­braten bestellen) zu müssen, um des Verkehres mit den Nichtjuden würdig zu werden. Scheinwissen, Scheinbildung und besonders Scheinaufklärung wurden unter den ton­angebenden, wohlhabenden Juden zur Tagesordnung. Scheinemancipation derselben Von der Ausschließung aus der christlichen Gesellschaft war der einzige Erfolg." »Von der Philosophie des Jahrhunderts hatte man sich die gangbarsten und schla­gendsten Formeln angeeignet, um mit denselben die Berechtigung jeder Autorität ohne Bedenken zurückweisen zu können. Man besaß gerade soviel allgemeine Kennt­nisse, um im Stande zu seiu, sich an Gesprächen der Art zu eigener Befriedigung zu betheiligen, und genug Witz, um seine Vorurtheilsfreie Aufgeklärtheit durch einige spottende Bemerkungen über Autoritätsglauben uud Orthodoxie darthun zu können. Man hatte sich soviel äußere Politur erworben, um sich in nichtjüdischen Gesell­schaften allenfalls ohne Verstoß gegen die Sitte zu bewegen, aber weder hinreichende Selbstachtung, um sich nicht auch in Kreise zu drängen, wo man nicht eben gesucht ward, noch genügende Selbstkenntniß, um seine Stellung innerhalb derselben nicht falsch aufzufassen. Unter diesen Reformjuden wucherte neben der Mißachtung vor den veralteten äußeren Formen der Religion das Unkraut des frivolen Jndifferen- tlsmus gegen die Religion überhaupt," der, wie wir wiederum hinzufügen, leider auch breite Schichten des deutschen Volkes ergriffen hatte und in Gemeinschaft mil­der Zeitströmung, die alles Specifische, geschichtlich Gewordene und Nationale zu unterwaschen, hinwegzuspülen und durch unterschiedslose Gestaltungen für alle Völker und alle Religionen zu ersetzen im Begriffe war, später die Emancipation über die durch Natur und Selbsterhaltungspflicht gesteckten Grenzen hinaus verschuldet hat.

Diese Tendenzen traten besonders in den größeren, hier und da aber auch in den kleineren Städten unter den Juden hervor. Doch muß erwähnt werden, daß allenthalben, also auch in den Hauptsitzen der Aufklärung, neben jenem auflösenden Jndifferentismus anch die starrste und schroffste Orthodoxie bestand, und daß sich zu dieser immer noch die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Juden bekannte. Die Kluft, die zwischen diesen Parteien sich aufgethan hatte, wurde erst in unserem