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zu deuten, daß alle anderen eingeladene Gäste, er aber der Dienstthuende war. Aber auch das scheint ihm bei dem sonstigen vertraulichen Verhältnisse des Königs zu ihm (von dem wir iu dem Buche zahlreiche Beweise erhalten) „eine zu subtile Auslegung". Er erzählt nun weiter: „Bei der Erwähnung des Cabinetsrathes Niebuhr kann ich nicht umhin, des eigenthümlichen Verhältnisses zu erwähnen, in welches sich derselbe während der Abendgesellschaften des Königs zu Alexander v. Humboldt stellte. Er war der Einzige, der es wagte, dem berühmten Gelehrten rücksichtslos zu widerspreche». Niebuhr war ein junger Mann, und die Bestimmtheit, mit der er in seinem gründlichen Wissen bei jeder Gelegenheit gegen den sür unfehlbar gehaltenen Greis auftrat, hatte etwas Verletzendes. Allerdings war es auch mir einige Male vorgekommen, daß v. Humboldt über Dinge der märkischen Geschichte und über Theaterangelegenheiten mit großem Applomb Unrichtiges sagte; ich hätte mich aber, selbst ganz abgesehen von der Umgebung, nicht unterstanden, ihm zu widersprechen oder ihn berichtigen zu wollen. Niebuhr aber war in solchen und ähnlichen Fällen sofort, in Gegenwart des Königs und unaufgefordert, mit Aeußerungen wie: „Excellenz, das ist nicht so" oder: „Das hängt anders zusammen" bei der Hand, und das weitere Gespräch ergab dann auch gewöhnlich, daß Niebuhr Recht hatte. Aber selbst die Ueberzeugung, die man dadurch von seinem gründlichen Wissen gewann, milderte das Verletzende seines Auftretens nicht."
Schneider hat sich dieses Betragen Niebuhrs anfangs nicht zu erkläreu gewußt und nur gefühlt, daß es Humboldt ärgern und schmerzen mußte, ihn, der in diesen Kreisen seit Jahren fast allein das Wort gehabt und niemals Widerspruch erfahren, niemals erlebt hatte, daß jemand ihn des Irrthums überführte. Erst später klärte sich der Grund auf, der Niebuhr bewogen, so schroff und schneidend gegen den alten Herrn vorzugehen. „Er nannte den berühmten greisen Gelehrten einen uugründlichen Vielwisser, der über alle möglichen Dinge, die er nicht genau kenne, sprechen müsse und sehr geschickt zusammenzuschreibeu verstehe, was andere Leute gedacht und erfunden." — „Zu der Zeit, als ich in die Hofverhältnisse eintrat," fügt Schneider hinzu, „schien mir dieses Urtheil ebenso ungerecht als anmaßend, später habe ich es erst verstohlen, dann lauter auch von andern aussprechen hören, wozu aber wohl die Enthüllung des Charakters Humboldts durch die Varnhagensche Literatur beigetragen haben mag. Niebuhr war ein treuer Diener seines königlichen Herrn, v. Humboldt aber kein aufrichtiger und wahrer Freund seines unerschöpflich gnädigen gekrönten
Freundes____„Daß er falsch gegen jedermann und selbst gegen seine Freunde
war, auch gegen die, mit welchen er im zärtlichsten Briefwechsel stand, weiß jetzt, nach den Veröffentlichungen der Assing, die Welt, und dies ist unstreitig