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nischer Sitte ausschließlich Geistliche, während im übrigen die Erziehung von Hofleuten und Militärs geleitet wurde. Der Vater ließ nach altpiemontesischer Tradition die beiden Söhne — Victor Emanuel, den Herzog von Savoyen, und den um zwei Jahre jüngern Herzog von Genua — von vornherein zu Soldaten bilden. Schon als fünfjähriger Knabe saß der Kronprinz stundenlang zu Pferde. Der Tageslauf war streng geregelt; geistige und körperliche Arbeit wechselte mit knappen Erholungsstunden. Anfangs war Geschichte das Lieblingsstudium des Prinzen : Macchiavelli, Guicciardini, Botta wurden mit Eifer wieder und wieder gelesen. Später traten die Militärwissenschaften mehr in den Vordergrund. Aufsätze des kaum 15 jährigen bezeugen nicht nur einen trefflichen, wohlbenutzten Unterricht, sondern setzen den Leser auch durch ihre klare und präeise Sprache, mehr noch durch die Schärfe und Selbständigkeit des Urtheils in Staunen. Nach Familienbrauch wurde Victor Emanuel schon mit 22 Jahren mit seiner Cousine Maria Adelaide von Oesterreich vermählt. Die Verbindung mit einer österreichischen Prinzessin erregte wenig Freude im Volke; aber die junge Frau, von einnehmendem Aeußern, feinem Verstände und hoher Geistesbildung, verstand es bald, durch ihr liebenswürdiges Wesen und ihre nimmermüde Wohlthätigkeit die Herzen zu gewinnen und ihre Abstammung vergessen zu machen. —
Pius IX. hatte den Thron bestiegen; die Wellen des nationalen und freiheitlichen Enthusiasmus giugen hoch; da kamen der 24. Februar 1848 in Paris und die Märztage in Wien und Berlin und rissen Italien mit hinein in die revolutionäre Strömung. Karl Albert, der nach des kinderlosen Oheims Tode den sardinischen Thron bestiegen und eben seinein Volke nnr halbfreiwillig eine Constitution verliehen hatte, sympathisirte als alter Oesterreicherfeind mehr mit dem Rufe: Vnori i darbg-ri! als mit den demokratischen Tendenzen der Zeit und zog als Lx^ÄÄ ä'Its,1ia mit einem glänzenden Heere im Frühling 1848 den insurgirten Lombarden zn Hilfe. In ungehemmtem Siegeslaufe durcheilte er die Ebenen der Lombardei bis zum Mincio, wo in der Nähe des vielgenannten „Festungsvierecks" so oft vor- und nachher die Geschicke Italiens entschieden worden sind. In dem Gefechte von Santa Lucia und dem Treffen von Goito, dem glücklichsten Tage für die Piemontesen, legte der Herzog von Savoyen glänzende Proben seines an Verwegenheit grenzenden Muthes ab. Als an dem letztgenannten Tage seine Truppen vor dem österreichischen Ansturm zu wanken begannen, rief er mit Donnerstimme: „Zu mir die Garde, um die Ehre des Hauses Savoyen zu retten", und warf an ihrer Spitze, selbst verwundet, die Feinde siegreich zurück. Bald sollte er Gelegenheit haben, noch andere Gaben des Feldherrn zu zeigen. Der alte Löwe Radetzky hatte dem kurzen Siegesrausche der Italiener ein Ende gemacht. Nach den Niederlagen