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Die Lage in Baden nach der Kammereröffnung.
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Rom abgeneigt ist, ungeheures Aufsehen, am wenigsten vielleicht bei den Kleri­kalen selbst, die zu gut unterrichtet waren, um nicht zu wisseu, daß hinter diesen Worten die Absicht des Staates, der Kirche über die staatsrechtlichen Grenzen hinaus entgegenzukommen, sich nicht verbergen konnte. Aber diese Grenze selbst zogen sie immerhin anders als der Staat selbst und als die Liberalen. Die Negierung hüllte sich über den Sinn jener Worte, so weit er eine thatsächliche Unterlage hatte, in tiefes Schweigen und ging ihren Weg unbeirrt weiter, ob man hier auch maßlos fürchtete, dort unbescheiden forderte. In demselben Sinne, daß sie beide Parteien in ihre Schranken zurückwiesen, vor allem freilich den ultra­montanen und konservativen Ansprüchen einen Damm entgegensetzen, scheinen uns auch allein die Aeußerungen zu verstehen zu sein, welche vom Minister­tische aus in den ersten Sitzungen fielen. Daß dieselben nicht, wie man sie anfangs ansbenten wollte, einen Ausgleich durch beiderseitige Annäherung ganz perhorreseirten, hat die Erfahrung inzwischen bestätigt, da in der Examenfrage, die hier für den Klerus ungünstiger als in Baiern und Würtemberg ist, eine Einigung in naher Aussicht stehen soll, wobei allem Anscheine nach auch die Regierung gewillt ist, der Kurie einige Zugeständnisse zu machen, wie andrer­seits auch die Kurie weise genug sein dürfte, sich mit dem, was ihr zu er­langen möglich ist, zufriedenzugeben, um so wenigstens einen rnoäus vivznäi, wie er kürzlich iu einem, aller Wahrscheinlichkeit nach übrigens mit Unrecht für offiziös gehaltenen Artikel derBadischen Landes-Zeitung" als möglich hingestellt wurde, und wie ihn anch dieBadische Korrespondenz" nenerdings in Aussicht stellt, zu erlangen. Denn darüber macht sich auch in Baden keiner, der die Lage frei beurtheilt, Illusionen, daß mehr als ein irwän.8 vivsnäi mit Rom so lange nicht möglich ist, so lange die katholische Kirche zugleich eine politische Rolle zu spielen gewillt ist. Denn die Politik der Kurie wird nie eine solche sein können, die auch der Staat als eine berechtigte anzuerkennen in der Lage wäre, weil sie ihre Direktive nicht erhält aus der Rücksicht auf das Wohl der staatlichen Gesammtheit, sondern von dem bestimmenden Willen in Rom.

Die zweite, die allgemeinste Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich zie­hende Angelegenheit betrifft die finanzielle Lage des Landes. Diese ist auch bei uns keine günstige.Die Staatsfinanzen leiden unter dem lange andau­ernden Druck der allgemeinen ungünstigen wirthschaftlichen Verhältnisse", heißt es in der Thronrede. Hierzu tritt aber als besonders erschwerender Umstand hinzu, daß unsere weinbauenden Landleute in Folge mehrerer schlechter Ernten, namentlich in Folge der letzten vollständigen Mißernte denn der 79 er ist selbst zu sauer, um Kinder damit in die Schule zu treiben, man könnte ihn höchstens als Gegengift gegen Kammer-Mandatssucht verordnen ebenso daß

Grenzboten IV. 187S. 72