kann er weder der Würde des Reichstages noch der beschimpften Ehre der Nation verschaffen. Ein Ordnungsruf, eine Entziehung des Wortes vor vollendeter Rede können nicht als Sühne gelten, genommen von Rednern, die „auf den Reichstag pfeifen". Nach unserer Ueberzeugung ist es aber mindestens ebenso wirkungslos, solchen Rednern gegenüber sich aufzuhalten mit feierlichen Formen des Verweises oder gar mit Auferleguug einer Abbitte u. dgl. Es sind dies ungeschickte, unselbständige Eutlehnnngen fremder Beispiele, die für uns nicht gut genug sind. Unsere Geschäftsordnungen sind darin ganz richtig: die äußersten moralischen Mittel, welche der Würde eines deutschen Parlamentes ziemen, sind Ordnungsruf und Entziehung des Wortes. Aber eben, weil sie dies sind, reichen zum Schutz der Würde des Reichstages die blos moralischen Mittel nicht aus, der Reichstag muß die verfassungsmäßige Machtvollkommenheit besitzen, zum Schutz seiner Würde, welche der Maßstab für die Selbstachtung der Nation ist, das Recht jedes einzelnen Mitgliedes zu beschränken und nöthigenfalls aufzuheben. Zur Vervollständiguug dieser Machtvollkommenheit, welche man das Majestätsrecht des Reichstages nennen könnte, gehört aber auch die weitere Machtvollkommenheit, das Recht jedes Wahlkreises zu beschränken, welcher ein für unwürdig erklärtes Mitglied sendet. Wir rechtfertigen hiermit, was wir in unserm vierten Briefe gefordert, nämlich einen Artikel der Reichsverfassung 27 d: „Der Reichstag hat das Recht, Mitglieder, die sich gegen seine Würde vergehen, sür einen Theil oder bis zum Schlüsse der Legislaturperiode auszuschließen. Der Wahlkreis des betroffenen Abgeordneten kann eine Neuwahl verlangen. Im Falle der Wiederwahl des ausgeschlossenen Abgeordneten verzichtet der Wahlkreis für die Dauer der Ausschließung auf seine Vertretung. Der Reichstag kann das Mandat eines Abgeordneten kassiren, die Wiederwahl des betroffenen Abgeordneten wird dadurch in jedem Wahlkreise für alle künftigen Wahlen ungiltig, so lange die Kassirung nicht durch einen nenen Reichstagsbeschluß aufgehoben worden."
In dem vierten dieser Briefe haben wir gezeigt, daß und weshalb ein deutscher Reichstag authentische Berichte seiner Verhandlungen veröffentlichen muß. Die Entfernung sitteverletzender Aeußerungen aus diesen Berichten halten wir für ein ganz unzulässiges und verfehltes Mittel. Es ist genan dasselbe Verfahren, wie wenn man einen ungesunden Graben, anstatt ihn zu reinigen oder zu verschütte», überbaut und dadurch das Gift konzentrirt. Die rednerischen Ausschreitungen gehören in den authentischen Bericht und folglich in alle wahrheitsgetreuen Berichte. Aber die unerläßliche Bedingung ist, daß solchen Ausschreitungen die Strafe auf dem Fuße gefolgt sei: die gelinde moralische, wo sie ausreicht, die scharfe, das Recht des Redners einschränkende oder kassi- rende, wo sie nothwendig ist,