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war, die letzten Spuren der einst kräftigen Autonomie einzelner Stämme im Blute der Parteien erstickte. Damals vollzog sich in Rußland derselbe Prozeß, wie einst in Frankreich unter Chlodwig, dann unter Ludwig XI., später unter Richelieu: Zentralisation unter absoluter Herrschaft, ein Zustand, dem das alte deutsche Kaiserreich entging durch der einzelnen Stämme machtvolle Eigenart, ob zum Segen oder Unsegen seiner heutigen Fortentwickelung, wer kann es sagen? „Von Perm nach Tauris, vom finnischen eisesklaren Frost zum flcunmenheißen Kolchis, von des Kreml erschüttertem Wall bis hin nach China's ewig ragender Mauer" — so singt Puschkin, Rußland's Byron — „laufen alle Fäden des vielzungigen Riesenstaates in eine Hand, die des weißen Czaren an des Reiches äußerstem Ostrand." Kleine Bruchstücke, wie der Kaukasus, die Ostseeprovinzen, Finnland, die neueroberten Oasen der Turkomannen- lande haben eine Art Autonomie aus verschiedenen Gründen und von gleich geringer Art, auch scheint sie keine Dauer zu versprechen. Weder die Entfernung, noch die geschichtliche Entwickelung, noch verzweifelnngsvoller Widerstand, wie der Polen Jahrhunderte lange Kämpfe, haben das Schicksal geändert. Unerbittlich wird Alles unterworfen — dem Petersburger Beamtenthum.
Darüber kann keine Täuschung walten: viel weniger der Czar, als die Bureaukratie ist der eigentliche Herrscher des Landes, und sie war es in noch viel höherem Maße unter Nikolaus, der sich einbildete, der allmächtige Herrscher zu sein. Wohl haben die Reformen des jetzigen Kaisers weite Breschen in diese Bureaukratenherrschaft gelegt, aber noch steht sie sest und unerschüttert und wird noch manches Menschenalter überdauern, weil sie — ein nothwendiges Uebel ist. Bei ihrer gewaltsamen Vernichtung würde das Reich unausbleiblich eine Beute der Anarchie werden. Jetzt noch gipfelt Alles und Jedes in dem scheinbar unumgänglich nöthigen Entschluß des Kaisers. Die offiziellen Journale bringen jede Woche bunt durcheinander die wichtigsten und nichtigsten Kabinetsordres. Weil Alles durch diese erst in die Wirklichkeit tritt, erscheint auch Alles gleich wichtig. Nichts darf die Regierung übersehen, Nichts darf ihr entgehen. Das macht dem ungewohnten Auge des Fremden denn oftmals einen gar scurrilen Eindruck. „Seiue Majestät haben geruht, die Errichtung von 4 Betten im Greisenhospital von Nisney-Nowgorod Seitens der Wittwe des hochseligen Steuerrathes Deuckselinski allerhöchst zu genehmigen. Seine Majestät haben geruht, deu Abmarsch vom 3., 4. und 6. Armeekorps nach dem Kriegsschauplatz anzuordnen. Seine Majestät haben geruht, die Errichtung einer Sparkasse durch Hinterlegung von 2 Staatsschuldscheinen s, 2000 Rubel, Serie ^. der Sprozentigen Anleihe vom Jahre 1871 zu genehmigen, welche der General Kasimir zum Besten mittelloser Beamtenkinder der Stadt Jakutsk zur Erinnerung an seine verewigte Tochter errichtet" — so heißt es da bunt