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Goethe´s Gedichte in Frankreich.
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lichen Abschnitte meiner Arbeit. Ganz anders 'gestalten sich diese Abschnitte mit Rücksicht auf die Aesthetik. Diese stellt jedes Gedicht zu der Gattung, zu der es gehört, und fordert, daß man nach und nach die Lieder, die Oden, die Balladen, die Epigramme, die Elegien betrachte. Welcher von diesen beiden Anordnungen empfiehlt sich's nun zu folgen? Wenn wir Goethe selbst fragen, so scheint er uns die letztere zu neunen. Denn in seinen gesammelten Werken sind die Gedichte, was ihre Entstehnngszeit betrifft, bunt durcheinander ge­worfen, nach Kategorien grnppirt. Aber diese Methode, die man bei jedem andern Dichter gelten lassen möchte, kann auf Goethe keine Anwendung finden. Wir sind nicht berechtigt, die Wirklichkeit, die äußeren Umstände, die mannig­fachen Empfindungen, die seine Seele bewegten, in den Hintergrund zu drängen, denn es handelt sich um einen Dichter, dessen Gedichte nach seinem eignen Ge- stündniß Gelegenheitsgedichte sind. Andrerseits, an die chronologische Reihen­folge sich ohne Einschränkung zu binden, das hieße, die Analyse zerstückeln, Anschauungen verzeddeln, die man doch verständiger Weise im Zusammenhang geben muß. Im Hinblick auf die offenbaren Jnconvenienzen beider Methoden, bin ich dazu gelangt, eine wie die andre zu verwerfen, oder vielmehr sie mit einander zu verbinden, so daß beide gegenseitig Zugeständnisse machen müssen. Diese Verschmelzung macht sich leichter als es anfangs scheint. Ein Dichter, der, wie Goethe, nicht handwerksmäßig schafft, sondern die Inspiration abwartet, bringt seine Empfindungen stets in die ihnen angemessenste Form: sind sie stürmisch, so brausen sie in der Ode oder im Dithyrambus einher; sind sie sanft, so ver­breiten sie sich gemächlich in der Elegie. Nun entsprechen aber auch gewisse Gattungen bestimmten Perioden von Goethe's Leben. In seiner Jugend hat er keine Elegien geschrieben, nach seinem vierzigsten Jahre keine Ode mehr gedichtet. Andre Gruppen, wie die Ballade, das Epigramm, die einen größeren Raum einnehmen, haben wenigstens eine Zeit des Glanzes und der besonderen Pflege: dies ist dann der Zeitpunkt, den ich zur Betrachtung wähle. Bieten aber Gedichte, die zu diesen Gruppen gehören, in erster Linie biographisches Interesse, so trage ich kein Bedenken, sie daraus abzulösen und in ihre Ent­stehungszeit zu setzen. Eine einzige Gattung breitet sich über das ganze Leben des Dichters aus: das Lied. Es ist die Gattung, die dem Goethe'schen Genius am natürlichsten war, der er das unauslöschlichste Gepräge aufgedrückt hat, Ihr widme ich mehrere Kapitel, deren Platz nach der Entstehungszeit der Lieder und nach den Gegenständen, die sie behandeln, bestimmt wird."

Nach diesen Grundsätzen, gegen die sich schwerlich etwas wird einwenden lassen, theilt Lichtenberger seine Darstellung in 14 Abschnitte. Der erste Ab­schnitt behandelt das Leipziger Liederbuch, der zweite die Friderikenlieder, der dritte die odenartigen Dichtungen, wieWandrers Sturmlied",An Schwager