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Goethe´s Gedichte in Frankreich.
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ist zehn gegen eins zu wetten, daß man in Deutschland die Nase gerümpft und gesagt hätte:Ach ja, ein ganz nettes Buch, geeignet für die Frauenwelt und sür die reifere Jugend, aber was hat es neben so gelehrten Arbeiten wie denen von Düntzer, Viehoff u. A. zu bedeuten?" Er schreibt es französisch und siehe da, es ist ein Schuß in's Schwarze, und wenn wir klng sind, sorgen wir recht bald für eine gute deutsche Bearbeitung davon. Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu.

Von Frankreich aus sind in den letzten Jahren eine Anzahl namhafter Beiträge zur deutschen Literatnrgeschichte gespendet worden. Wir erinnern nur an das zuletzt erschienene Werk von Joret:Hsrclor st 1a, r<ZQÄ,i88Mos Mtö- i-airs ^11<zM^Qs", womit das Ausland dem gegenwärtig auch in Deutsch­land wieder erwachten Interesse für Herder, welches in der großen Suphan'schen Herder-Ausgabe und in Haym's Herderbiographie seinen Ausdruck findet, voraus­eilte. Diesen Werken reiht sich nun das Buch von Lichtenberger über Goethe's Gedichte an.

Die erste Frage, die sich dem Buche gegenüber ausdrängt, ist die: Wie stellt es sich zn den beiden bekannten deutschen Kommentaren von Viehoff und Düntzer? Hierauf ist ein Doppeltes zu antworten. Erstens behandelt der französische Kommentar nicht, wie die beiden deutschen, sämmtliche in der ge­wöhnlichen zweibändigen Ausgabe vereinigten Gedichte Goethe's, sondern nur eine Auswahl derjenigen, die für weitere Kreise, zunächst in Frankreich, aber wir können, wenn wir ehrlich sein wollen, getrost hinzusetzen auch in Deutsch­land Interesse haben. Ob die Auswahl das Richtige trifft, ob sie zu eng oder zu weit ist, auf diese Frage kann nicht geantwortet werden, ohne zugleich des zweiten, wichtigeren Unterschiedes zwischen dem französischen Werke und den beiden deutschen zu gedenken. Die deutschen Erklärer geben einen Kommentar zu jedem einzelnen Gedichte, und zwar schließen sie sich dabei natürlich derjenigen Reihenfolge und Gruppirung au, in welche Goethe selber in späterer Zeit seine Gedichte gebracht hat. Lichtenberger wagt es, den Versuch, den Hirzel und Bernays in ihremJungen Goethe" gemacht, die Gedichte wieder in ihre ur­sprüngliche chronologische Reihenfolge zu bringen, auf die Goethe'schen Gedichte überhaupt, soweit sie hier berücksichtigt werden, auszudehnen und die Besprechung derselben in einen fortlaufenden biographischen Faden einzuflechten. Hierin liegt der Hauptwerth und der Hauptreiz des vorliegenden Buches. Die Vie- hoff'schen und nun vollends die Düntzer'schen Erläuterungen wird kein Mensch zur Hand nehmen, um sie zulesen"; sie sind nichts als Materialsammlungen, Nachschlagewerke. Lichtenberger hat, bei aller Gründlichkeit der Arbeit, doch zugleich ein angenehmes, im Zusammenhange zu lesendes Buch geschaffen. Das