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Vorahnungen moderner Naturerkenntniß bei Lucrez.
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Denn weder, wenn etwas hemmt und hindert,

Daß das Geschoß cm's Ziel gelangt.

Noch wenn es hincms in die Weite fliegt,

Kann es vom Rande des Alls entsandt sein.

So nun folg' ich dir immerfort

Und wo du des Alls äußersten Saum

Zu setzen wagest, frag ich immer,

Was aus jcuein Geschosse werde.

So kann nirgends die Grenze bestehn,

Und die freie Flucht der fliegende» Lanze

Zwingt dich zu immer weiterer Flucht,

d. h. zwingt dich die Grenze immer weiter hinauszuschieben. Wie tief und großartig der Dichter die Unendlichkeit des Raumes auffaßt, zeigt eine andere, nicht minder schöne Stelle (I, 10021007):

So weit thut rings sich ans die Weite, So bodenlos des Raumes Abgruud, Daß ihn die blendenden Blitze nimmer Durchmcssen könnten mit ihrem Flnge', Und wenn sie Ewigkeiten hindurch Ihre Flammcnspnren zögen; Ja, nicht verkürzen könnten des Weges Rest sie dnrch den längsten Lauf. So endlos rings, so grenzenlos Oeffnet sich von allen Seiten, Ocffnet sich nach allen Seiten Jedem Fluge freie Bahn.

Eine kühne Konsequenz der Unendlichkeit des Raumes uud der Materie ist die vielangefochtene Lehre, daß es uneudlich viele Welten gebe uud daß solche jeden Augenblick entstehen, um mächtige Zeiträume hindnrch zu dauern, daß solche jeden Augenblick nach äonenlangem Bestände vergehen. Setzen wir für Welten: Sonnensysteme, so wird die moderne Natnranschauung dieser Behaup­tung ein Moment der Wahrheit zugestehen.

Bedenklicher mag es erscheinen, daß aus diesen mit so uuzureichenden Kräften ausgestatteten Atomen der reine, nackte Zufall Welteu schaffen soll. Aber er vollbringt dies erst nach unzähligen, absolut unzähligen mißglückten Versuchen, wenn wir dies Wort so uneigentlich gebrauche» dürfen. Der Epikureer ist darin ein Vorläufer Darwin's, daß er mit ungeheuren Zeitränmen operirt, ja geradezu mit der Ewigkeit in der ganzen Abgrundtiefe des Begriffes.

Die Abschnitte des Gedichtes, welche sich mit der Natur der Seele be­schäftigen und mit den berühmten Beweisen gegen ihre Unsterblichkeit abschließen, und diejenigen, welche es mit der Entstehung der Sinneswahrnehmnngen, der Gedanken und Triebe zu thun haben, das dritte und das vierte Buch, dürften kaum etwas enthalten, was als vorweggenommene naturwissenschaftliche Wahr­heit gelten könnte. Dagegen bietet das fünfte Buch, welches die Entstehuug