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freilich nur als Versuch angesehen haben, aber „wir dürfen in diesem Versuch gewissermaßen ein Muster erblicken und sagen, daß jeder vom Staudpunkt der Züchtuugslehre aus entworfene Stammbaum mehr oder minder damit übereinstimmend ausfallen werde nnd müsse." Selbstverständlich wird für den Verlauf einer solchen Umbildung und Entwickelung eine Zeitdauer von Aeonen d. i. von ungezählten Millionen von Jahren vorausgesetzt.
. Zur Beurtheilung der Abstammungslehre übergehend, bemerkt Dr. Weygoldt von vornherein, daß die Streitfrage, ob Entwickelung oder direkte Schöpfung der Arten, im Grunde eine philosophische sei, die deshalb auch auf philosophischem Wege gelöst werden müsse. Man wird dem eben so wenig widersprechen können, als der weiteren Thesis, daß zufolge der Methode unseres Denkens die Annahme unmittelbarer Schöpfungen als unwissenschaftlich verworfen werden müsse. Wird wissenschaftlich nach dem Woher? und Warum? der Arten gefragt, so ist nur der Gedcmke der Entwickelung, der organischen Deszendenz möglich, und die Annahme schöpferischer Eingriffe in gewissen Zeiträumen bleibt ausgeschlossen. In den Naturwissenschaften hat sich der Gedanke der Entwickelung oder Evolution schon jetzt eine unverdrängbare Stelle erworben. Er entspricht zudem einem Zug unserer Zeit nach genetischem Erfassen des Seienden. Die Annahme unmittelbarer Schöpfungen dürfte in 100 Jahren so überholt sein, als es heute die Vorstellung ist, daß sich die Sonne um die Erde drehe. Bei alledem muß jedoch in erster Linie gefragt werden, ob der philosophisch nicht bestreitbare Gedanke der Entwickelung auch empirisch durch die sogen, „exakte" Forschung nachgewiesen ist. Die Frage präzisirt sich näher dahin: reicht die Darwinsche Züchtungslehre zur Erklärung der Abstammung ans nnd ist sie also eine wissenschaftliche Hypothese, die unbedingten Glanben verdient? Eine Würdigung der wichtigsten Einwürfe gegen die Züchtungslehre führt den Verfasser unserer Schrift zu dem Resultat, daß es uumöglich ist, eine Theorie als wissenschaftlich ausreichende Erklärung des organischen Lebens zu betrachten, welche dieses Leben zuerst voraussetzen mnß uud welche dann seinen Verlauf, seine Ausgestaltung vielfach nur durch blendende Analogien und geistreiche Muthmaßungen zu deuten weiß. Der empirische Beweis der Deszendenz ist, so bedeutend nnd verdienstlich auch der Versuch Darwin's ist, nicht erbracht. Bis jetzt ist die Deszendenz nur philosophisch, nicht naturwissenschaftlich festgestellt (? d. Red.).
Die Darwinianer als die Vertreter des Prinzips der minimalen Abänderungen leugnen einen inneren Bildnngstrieb und überhaupt jedes zielstrebende Agens, und erklären die bestehende Organisation als Produkt einer Anzahl mechanisch, d. h. blind und ziellos wirkender Naturgesetze. Der Bestand eines Wesens ist dem Darwinianer lediglich das Produkt aus der Reibung der beiden