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Die deutsche Litteratur während des achtjährigen Friedens 1748-1756 : (Klopstock, Wieland, Lessing, Winkelmann, Kant.) I.
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Leider ist dieser göttliche Rathschluß ebensowenig episch darzustellen, wie der Vorgang ans Erden, denn er steht von Ewigkeit fest, hat also keine Ge­schichte. Noch schlimmer aber ist, daß der^ Dichter von seinem wirklichen mystischen Gehalt nicht mehr weiß als der gewöhnliche Verstand: er blickt andachtsvoll zu ihm empor, aber er sieht ihn nicht.

Nach Anrufung der heiligen Muse wagt sich der Dichter sofort in die tiefste Tiefe; er läßt die Dreifaltigkeit sich über ihre eigne Unergründlichkeit unterhalten.Jetzo erhuben sich neue, geheimnißvolle Gespräche zwischen ihm und dem Ewigen, Schicksal enthüllenden Inhalts, heilig und furchtbar und hehr, voll nie gehofster Entscheidung, selbst Unsterblichen dunkel." Als der eben ge­schaffene Erzengel Elya Gott sieht,sagte er dem Ewigen alle Gedanken, die er hatte, die neuen erhabnen Empfindungen alle, die das große Herz ihm dnrchwallten." Abbadonna, der reuige Abtrünnige in der Hölle, empfindet als schwerste Strafe, dem tiefen Gedanken der Erlösung nicht völlig nachdenken zu können:kann ich mich himmlischer Dinge noch erinnern, so hab' ich von diesem Geheimniß einst was Dunkles im Himmel gehört. In tiefer nächt­licher Ferne seh ich neue Gedanken voll wunderbarer Entdeckung, aber in Labyrinthe verwirrt, sich gegen mich nähern . . ."

Dem Dichter geht es darin nicht besser als Abbedonna.

Ein andermal sieht Christus zu dem Vater empor.Wer ist der Ge­schaffne, der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit, welcher Liebe sie schauten! Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie sie es sprechen, kannst du, Sivuitin! erzählen. Denn dieses zu denken, hat die Seele kein Bild; es zu sagen, nicht Worte die Sprache."

Daß darin für das Gedicht ein erheblicher Mangel liegt, empfindet der Dichter sehr wohl; er entschuldigt sich gleich zu Anfang wegen der Kühnheit seines Unternehmens, und erinnert von Zeit zu Zeit den Leser an diese Ent­schuldigung.Immer weiter komm' ich auf meinem furchtbaren Wege. . Auf beiden Seiten ist Abgrund! Da zur linken: ich soll nicht zu kühn den Göttlichen singen! hier zur rechten: ich soll ihn mit feierlicher Würdigkeit singen! Und ich bin Staub! O du, deß Blut auf Golgatha strömte, desseu Allgegeuwart mich von allen Seiten umringt hat, dn erforschest meine Gedanken! Du siehest es alles, was ich denke, vorher, dn Naher! ja selber kein Wort ist mir auf der Zunge, das du nicht wüßtest. Mein Gott, mein Versöhner: leite mich, und wenn ich strauchle, vergieb mir's!"

Solch Gebet kommt dem Christen zu gut, aber nicht dem Dichter. Wenn wir nichts von den großen Gedanken, die Christus oder Eloa gegen Gott aus­sprechen, erfahren, so haben wir eben nichts gewonnen. Dante, Milton, Jakob