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Jahresbericht aus Schwaben.
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erst die materiellen Fragen! Kein Zweifel, wo nur noch der Egoismus im politischen Leben entscheidet, da ist derjenige am mächtigsten, welcher am meisten zu bieten vermag, welcher, ohne sich der Bestechung schuldig zu machen, über Einflußmittel verfügt, gegen welche alle anderen Faktoren gar nicht in Betracht kommen, und das ist in Württemberg die Regierung. Zu ihrer Verfügung steht nicht nur, wie überall der gewöhnliche Beamtenorganismus des Staats, sie ist zugleich Verwalterin eines enormen, über das ganze Land verbreiteten Waldkomplexes und im Besitze eines äußerst entwickelten Eisenbahnnetzes mit einem Heer von Beamten und einer weitreichenden, den ganzen Verkehr be­herrschenden diskretionären Gewalt. Sie verspricht und gewährt Wege, Stege, Brücken, Eisenbahnen, Wasserleitungen, sie disponirt über Bahnzüge, Stationen, Posten :c., über Tausende von untergeordneten Aemtern und kennt alle Wege, um ihren Werkzeugen bei Freund und Feind Eingang zu verschaffen. Nur die Sozialdemokratie ist im Stande, ihre Versprechungen noch zu überbieten. Deßhalb kommen denn auch, wenn es sich um die wirkliche Machtfrage handelt, in Württemberg zur Zeit nur noch diese zwei Parteien ernstlich in Betracht.

Das bewiesen die Reichstags- wie die Landtagswahlen des vergangenen Jahres. Was die ersteren betrifft, so fragte die Regierung nie nach dem anderweitigen Parteistandpunkt der Kandidaten; entscheidend war für sie nur, ob von ihm zu erwarten war, daß er bei jeder wichtigen Abstimmung nach ihren Weisungen in Berlin Votiren werde: war dieß der Fall, so stand ihm auch der ganze Regierungsapparat zur Seite und war seine Wahl gesichert, während alle diejenigen, welche sich bisher als Abgeordnete des deutschen Volks und nicht als Delegirte der württembergischen Regierung im Reichstag benommen hatten, mit förmlichen Interdikt belegt und von den Preszorganen des Mini­steriums aufs entschiedenste verfolgt wurden. Die Regierung erreichte denn auch wenigstens äußerlich ihren Zweck vollständig; allerdings konnte sie ihres Sieges insofern nicht ganz froh werden, als sie zwar eine Anzahl unbedingt nach ihrem Wink stimmender Abgeordneten in den Reichstag brachte, in dem­selben Maße aber anch allen moralischen Einfluß in den maßgebende» Frak­tionen des letzteren verlor, da man dort alsbald erkannte, daß man es nur noch mit Statisten des Stuttgarter Ministeriums, darunter einer Anzahl von Männern ohne alle politische Bildung, zu thun hatte. Aehnlich war der Ver­lauf bei den Landtagswahlen. Von den sog.Privilegirten" (Ritterschaft und Geistlichkeit) und zwei bis drei wirklichen Demokraten und ebensovielen wirk­lichen Nationalliberalen und Ultramontanen abgesehen, besteht das neugewählte Abgeordnetenhaus nur aus Persönlichkeiten, welche einfach auf den Namen der Regierung gewählt sind: daß sich diese Gesellschaft dem Namen nach in ver­schiedene Unterabtheilungen zerlegt, namentlich inj die sog. Regierungspartei