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Zweck, hat gar keine selbständige Bedeutung, ist ausschließlich dazu bestimmt, den ethischen Stoff zn konkreter Auschnuuug zu bringen. Eben deshalb ist es berechtigt nnd nothwendig, falls die Naturwissenschaft, — was sie aber nur mit Verzicht auf ihren exakten Charakter, als Naturphilosophie, vermag, — es unternimmt, die ethischen Grundwahrheiten der Schrift, religiöse oder moralische, anzutasten, den Kampf mit ihr aufzunehmen; aber es liegt kein Recht und keine Nothwendigkeit vor, für die naturwissenschaftlichen Anschauungen des ersten Buches Mosis einzutreten. Wenn der Materialismus oder Naturalismus den Glauben an den lebendigen persönlichen Gott, an sein schöpferisches Wirken bestreitet, wenn er die spezifische Dignität des Menschen, seine Gvttesbildlichkeit leugnet, dann wollen wir freudig und eifrig für diese Heiligthümer des Glaubens kämpfen. Aber was darüber hinausgeht, ist uns religiös und sittlich gleichartig, denn es kennzeichnet nur den naturgeschichtlichen Gesichtskreis der biblischen Schriftsteller, der für uns in keiner Hinsicht maßgebend ist. Wir stimmen vollkommen mit dem überein, was ein neuerer Theologe sagt: „Was etwa von naturwissenschaftlichem und philosophischem Stoffe vorliegt, hat durchaus nur Werth als Ausdruck der zu Zeiten der Entstehung des Stückes in Israel herrschenden Ansichten von diesen Dingen; ja es brauchte an sich dieses Material gar nicht dem Volke Israel eigenthümlich oder auch nur in ihm allgemein geltend gewesen zu sein. So kann in Betreff dieser Dinge nie der geringste Zwiespalt mit irgend einer Wissenschaft entstehen; sie sind als alttestamentlich bezeugte einfach Stoff für die Erkenntniß der ältesten menschlichen Auffassung von diesen Fragen." *)
Reusch folgt ebenfalls dieser Unterscheidung des ethischen Gehalts und der naturgeschichtlichen Vermittlung. Es zeigt sich dies sogleich in der Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der Sechszahl im Schöpfungsbericht zukomme.
Da es unmöglich geworden war, an sechs Tage im Sinue des üblichen Gebrauchs dieses Begriffs zu denken, hatte man, um Bibel und Wissenschaft auszugleichen, zu größeren Perioden von unbestimmter Zeitlänge seine Zuflucht genommen. Aber war dies in der That ein ausreichender Schutz? Keineswegs! Denn die vorauszufetzenden einzelnen Perioden sind nicht nur nach einander, sondern zum Theil auch gleichzeitig verflossen. Es ist nicht so, daß die Thierwelt erst geschaffen wurde, nachdem die ganze Pflanzenwelt vollendet war; vielmehr sind gewisse Pflanzengattungen erst entstanden, nachdem thierisches Leben schon vorhanden war; und ebenso sind gewisse Landthiere früher und gewisse Luft- und Wasserthiere später aufgetreten, als nach dieser Auffassung
') H, SchiG Alttestamentliche Theologie. Bd. I, S. 313—14.