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Ferdinand Lassalle. I.
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Wissenschaft, sein Eifer für das, was er für gerecht und wahr hielt, seine tapfere Art, die Dinge anzufassen, aber auch seine Schwächen, sein maßloses Selbstgefühl, seine Eitelkeit, Alles trug denselben flammeuden uud verzehren­den Charakter. Vor Allem aber brannte in ihm der Durst nach Geltung und Macht, und mit diesem hochfliegenden Ehrgeiz verband sich sein schönster Zug, der uus ihm viel vergeben läßt, leidenschaftliche Liebe zur nationalen Idee. All' sein politisches Denken uud Thun bezog sich vom ersten bis zum letzten Momente auf den preußischen Staat und feine Aufgabe in Deutschland. Aus diesen beiden Momenten erklärt sich sein häufiges Schwanken und seine gelegentliche Inkonsequenz. Zn den steinernen Götzen der Demokratie, von deren unfehlbaren Lippen nur in feierlichen Fristen ein Orcckelwvrt fällt, das dann für jeden gerechten und vollkommnen Volksmann als unwandelbares und unanfechtbares Dogma zn gelten hat, gehörte er niemals.

Lassalle war in Breslau von jüdischen Eltern geboren, die sich in guten Verhältnissen befanden. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt, machte er auf der leipziger Handelsschule nur geringe Fortschritte, und so be­schloß man, ihn durch Privatunterricht in seiner Vaterstadt auf die Universität vorbereiten zn lassen. In dem Alter, wo die meisten Knaben sich mehr als billig fühlen und vordrängen, war Lassalle ein ungewöhnlich vorlauter Junge. Was er selbst später als seineFrechheit" bezeichnete, verrieth sich schon da­mals. Wir stehen hier bei dem Raffenmerkmal in feinem Wesen, bei der Eigenschaft in ihm, deren Keim am Treffendsten dnrch das jüdische Wort Chuzpe" ausgedrückt wird, welches Gutes und Schlechtes, Geistesgegenwart und Unerschrockenst, aber auch Dummdreistigkeit und Unverschämtheit be­deuten kann, und das sich leicht als das Extrem begreifen läßt, in welches das scheue, furchtsame Auftreten eines Jahrhunderte lang verachteten, unterdrückten und bedrohten Stammes umschlügt, wenn der Druck und die Bedrohung auf­hören. DieseChuzpe", welche bei gewöhnlichen Individuen dieses Volkes in Gestalt von zudringlicher Dreistigkeit bisweilen so widerwärtig, als vergnügte UnVerblüfftheit mitunter w ergötzlich ist, war bei ihm, in dessen Seele so große Gaben schlummerten, nur der Keim, aus welchem sein Thatendrang sich ent­wickelte, und desfen Färbung seine ganze Thätigkeit bis zuletzt bewahrte. Es war ein Thatendrang, der Widerstand suchte, auf Widerspruch ausging und nur in der Opposition lebte und athmete. Unbewußt verband sich mit diesem negativen Triebe das positive Strebeu, sich geltend zu machen. Schon als Jüngling von sechzehn Jahren trat er bei einer häuslichen Gelegenheit mit Erfolg als Familienhaupt auf. Es war ein cäsarisches Streben in dem jun­gen Herrn, den geängstigte Geldsäcke dereinst für einen Catilina halten sollten. Er fühlte sich für die Macht geschaffen, uud da er nicht als Prinz, sondern