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Eisenbahnstudien. III.
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Tarifbüchern der Stationen die Frachten angegeben sind, resp, sich leicht aus diesen bestimmen lassen, da die Klassifikation eine einheitliche ist.

Man sieht also hier, daß es sehr wohl möglich ist, neben und trotz einer einheitlichen Klassifikation die ausgedehnteste Freiheit in der Einstellung von Ansnahmetarifen zu gestatten. Ja letztere sind geradezu ein Bedürfniß für den Groß- uud Masseuhcmdel uud durchaus nicht unangenehm fühlbar, wenn auch bei ihuen die Tarifanwendung einheitlich geregelt ist. Der Kleinhandel, welcher nur in gewissen Zeiten periodisch die Bahnen benutzt, bedarf einer cmf längere Zeiten hinaus bestimmten Einheitlichkeit in den Tarifen, weil er mit den Bahnen nicht in beständiger Verbindung steht. Der Großhandel dagegen verlangt Rücksichtnahme ans die jeweiligen Handelskonjunkturen und sofortige Nachfolge der Tarife je nach dem Stande der Konjunkturen. Die schnellen Wechsel, welche dadurch in den Tarifen hervortreten können, find ihm nicht lästig und unverständlich, sondern von ihm selbst gewollt, und er hat von ihnen genaue Kenntniß, weil er in beständigem regstem Verkehr mit den Eisen­bahnen bleibt.

Aber natürlich sind die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Handel und Eisenbahutarifen nur möglich, wenn diese Tarife von Leuten bestimmt werden, welche hierüber spezielle Fachkenntnisse besitzen, welche gleichzeitig den Bewegungen des Handels zn folgen vermögen und in ihrem Güterfache groß geworden sind.

Es wäre daher sehr zu wünschen, wenn auch in Deutschland das kauf­männische Element mehr Eiufluß auf die Eisenbahuverlvaltung gewänne. Ver­suche und Anfäuge sind ja bereits gemacht, aber freilich müßte als erste Be­dingung die Forderung aufgestellt werden, daß diese Elemente in ihrer allge­meinen Bildung den übrigen höhern Beamten vollständig gleichstünden, denn mit vollem Rechte wird in Deutschland diese allgemeine Bildnng mindestens ebensosehr geschätzt als genügende Fachkenntnisse.

Wenn also in England bei der allergrößten Vielgestaltigkeit der Eisen­bahnverhältnisse, trotz der schrankenlosen Konkurrenz, welche sich die Eisenbahnen machen, ein vollständig genügendes Maß an Einheitlichkeit der Tarifklassifika­tionen, neben der unbeschränktesten Freiheit znr Einstelluug vou Ansnahme- tarifeu, bereits seit langer Zeit durchgeführt ist uud wesentlich mit znr Blüthe des englischen Handels beigetragen hat, so ist es ans den ersten Blick um so weniger begreiflich, warnm wir in Deutschland nicht auch schon längst das­selbe und mehr erreicht habeu, iu einem Lande, wo die Eisenbahnen vielmehr als dein Gemeinwohl dienende öffentliche Verkehrsanstalten betrachtet werden als in England. Uud sicherlich kann doch diese deutsche Auffassung einer ein­heitlichen Regelung der Tarife uur günstig sein.